Ultimative Einwände gegen das Lektorat
Ein Gastbeitrag von Johannes Flörsch
Ein Lektorat braucht’s nicht, sagt Johannes Flörsch, Lektor mit Köpfchen, Herz und Seele. „Habch’s doch gewusst“, sagt die selfpublishende Textergemeinde und schreibt weiter an Vol. XIX ihres Œuvres und reklamiert für sich: „Was Vivaldi konnte, kannch auch!“ Vivaldi? Ganz einfach: Über den venezianischen Komponisten des Barocks kursiert das Bonmot, er habe ein einziges Musikstück geschrieben – das aber siebenhundertmal. Hat Vivaldi eine Lektorin* gehabt? Hat er nicht. Siehste!
Mit dem Zitat auf Vivaldi könnte es genug sein an Beweisführung der These: „Es braucht kein Lektorat!“. Indes, ich fürchte, es kommt arg populär daher, das Zitat; mit lockerer Sitte und zu wenig Ernst. Anekdote statt Fakt, Prosa statt Wissenschaft.
Leuchten wir also heller hinein in den Satz „ein Lektorat braucht’s nicht“. Schauen wir, ob die These noch hält, nachdem wir Schraube für Schraube gelöst und den Motor wieder zusammengebaut haben. Vermutlich, wie eigentlich immer bei solchen Eingriffen, werden ein, zwei Schrauben übrig bleiben. Na, und? Hauptsache, SPlern wird die Angst genommen und die herzensklamme Furcht, die sie erfüllen wie ein schwarzes Loch das Universum, wenn die Lebenskrise sie ereilt in Form der Frage: „Lektorat – ja oder nein?“
Wort 1: Ein
Bittere Wahrheit: Mit bloß einem Lektorat ist es nie genug. Nie nicht. Weder bei Hemingway noch bei dir. (Ich darf doch du, oder?) Klassische Wahrheit: Jeder Text verträgt mindestens zwei Überarbeitungen. Das hat seinen Grund in der Psychologie. Keine Lektorin von Format verrät dir von Anfang an alles; sie will dich ja nicht erschüttern. Obwohl: Ich hatte auch schon einen Fall, da hat die SPlerin das Handtuch geschmissen, als sie die ersten Seiten meines Lektorats zurückerhielt.
Das Beispiel zur These
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Wörter wie aufgeperlt. Ökonomisch (stört dich das Wort ökonomisch? Dann frage dich, warum) und gerade deshalb atmosphärisch. Mit nur wenigen wirklich notwendigen Schmuckwörtern (vulgo: mit Adjektiven und Adverbien) berührt Robert Saemann-Ischenko das Herz der Leserin; er nennt es in seiner Mail an mich schnörkellos und lakonisch. So etwas gelingt nie im ersten Anlauf; und wenn du erst einmal Blut geleckt hast, willst du auf den zweiten niemals nicht verzichten. Weil es dich reizt, besser zu werden, noch dichter zu schreiben, noch konzentrierter zu formulieren, mit noch weniger Wörtern noch mehr Raum zu schaffen für noch mehr Gefühl und für noch mehr Resonanz.
Für Liebe.
Fazit: Wort 1 – These belegt.
Wort 2: Ein Lektorat
Selbstgespräch einer SPlerin.
„Lektorat! Lektorat! Was soll das Gewese? Man schreibt und drückt auf Senden, fertig. Gut, da gibt es noch die Sache mit dem Cover und dem Klappentext. Und die Frage, ob tredition oder kdp, bod oder Verlag, dreieurofünzig oder neunneunundneunzig. Hält doch alles lang genug auf, da findet, Hand aufs Herz, ein Lektorat definitiv keinen Platz. Mal ganz abgesehen davon: Self heißt doch selbst, oder? Soll ich wirklich eine andere in meinem Manuskript herumfummeln lassen? In meiner Idee? Wär’ das überhaupt noch mein Buch, wenn es aus dem Lektorat zurückkommt? No way! Noli me tangere!“ Und so weiter und so fort.
Bedenke, du bist nur ein Mensch!
Ein gravierender Punkt: Nachdem eine Lektorin in deinem Manuskript „herumgefummelt“ hat, ist es nicht mehr dein Buch. Dann wird, so du ein sensibles Gewissen besitzt, dich immer das Gefühl begleiten, Anspruch zu haben auf nur einen halben Lorbeerkranz. Und du siehst das Cover vor deinem dritten Auge, und du verziehst das Gesicht, denn was du siehst, schmerzt: „Idee und Manuskript von <dein Name> – vergoldet: <Name der Lektorin>.“
So kann es nicht gehen. Du nickst und bestätigst: „These belegt!“ Ein Lektorat ist kontraproduktiv.
Wort 3: Ein Lektorat braucht’s nicht
Ich bitte um Verständnis, dass ich brauchen+nicht als ein Wort verstehe; so vermeide ich die Schrauben, die ansonsten übrig blieben.
„Ob ein Manuskript ein Lektorat braucht, weiß ich nicht. Die Leserin braucht es auf alle Fälle.“ So oder so ähnlich stand es in Facebook.
Siehst du? Schon bist du fein raus. Dein Manuskript braucht nicht zwangsläufig ein Lektorat. Und die Leserin?
Die Leserin. Ja, was denn? Merke auf: Drauf geschissen! Merke auf: Deine Fingerkuppen voll Hornhaut, dein Hemd müffelt nach Nachtarbeit; Kaffeetassen-Graffiti auf deinem Schreibtisch; Merkzettel statt Tapete; und ein wirrer Blick aus einem Land, in dem du allein warst, einsam, mit mal zitterndem, mal stürmischem RR – ganz so, als ob du Claire Beauchamp Randall Fraser begleitet hättest auf ihrer Reise in die Zeit Vivaldis (der schon wieder!). Keiner hat Rücksicht genommen auf dich! Jedem war egal, was du in den stillen Stunden getan hast. Nun endlich bist du an der Reihe, nun darf dir egal sein. Dein Ding ist fertig, dein Manuskript, nun ja: vollendet, wie man so wortspielflatternd sagt. Und dir kommen Gedanken an Iphigenie und ihr zaudernd, ihr zögerlich, ihr zaghaft tastender Schritt, begleitet von dem wie in Trance gedachten Selbstzweifel:
„Heraus in eure Schatten, rege Wipfel
Des alten, heil’gen, dichtbelaubten Haines,
Wie in der Göttin stilles Heiligtum,
Tret ich noch jetzt mit schauderndem Gefühl,
Als wenn ich sie zum erstenmal beträte,
Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher.“
Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher. Lebensfreundlicher Tipp: Gib um des Himmels willen nicht jetzt, in diesem zerbrechlichen Moment, das Produkt deines Geistes, dein Manuskript, aus den Händen! Aus zaudernd, zögerlich, zaghaft tastendem Tun könnte Verzweiflung erwachsen. Deshalb: kein Lektorat!
Fazit: Wort 3 – These belegt, keine Schraube übrig.
Auftrag erfüllt.
Nachtrag
<deleted>
* Zur Verwendung der grammatisch weiblichen Form schreibt mir Johannes Flörsch: „Ich habe jahrzehntelang „Lektor“ geschrieben und die Weiber mitgemeint; jetzt schreibe ich ‚Lektorin‘ und meine auch die Burschen. Ich finde, das gehört sich so.“
Über meinen Gastautor
Johannes Flörsch arbeitet seit mehr als 30 Jahren als Lektor, Redakteur, Buchautor, Texter und Konzeptioner. Ausbildung zum Bankkaufmann. Studium der klassischen Gitarre. Weiterbildung zum Technischen Redakteur. Fundiertes Wissen der Astrologie, mehr als nur oberflächliches Wissen aus der Medizin. Über seine Plattform Wortport.de bietet Johannes Flörsch einen schnellen Online-Korrekturservice und beantwortet Fragen zum Lektorat.
Ein streitbares THEMA:
*
Lektoratverzicht
Eine REDAKTION, die
auf ein strenges LEKTORAT
verzichtet, verliert
gar bald interessierte LESER …
___
© PachT 2016 / Aus meinem Tagebuch
https://einladungzupachtsblog.files.wordpress.com/2019/03/ssw509.gedanke_lektoratverzicht.jpg
Das Schwierige an dieser immer wiederkehrenden Auseinandersetzung ist, dass sie nicht inhaltlich ist und auch nicht inhaltlich geführt werden kann. Es ist eine psychologische Auseinandersetzung, die oft auf religiöse Weise geführt wird. Also jeder hält sie für inhaltlich, seine Argumentation für schlüssig und im Grunde für kaum zu widerlegen.
Die Inhalte beruhen aber auf geglaubten und gelebten Überzeugungen.
Man könnte fast soweit gehen, zu behaupten, ob ein Lektorat hilft, lässt sich nur erfahren.
Was selten eine Frage spielt, sind die Verletzungen und Empfindungen, die sich über Jahre oder Jahrzehnten aufgebaut haben.
Die Lektoren sind für viele die Türsteher, die ihnen immer wieder Absagen erteilt haben. Ohne Begründung, ohne Hilfestellung, ohne Hinweis, woran es wirklich liegt. Sie waren diejenigen, die oft erst nach Monaten die Hoffnungen oder Träume zerstört haben, die oft jahrelange Arbeit vernichtet haben. Kaum ein heutiger Selfpublisher, der sich nicht schon von ihnen gedemütigt und ausgesperrt fühlte. Ausgesperrt aus einer Welt, der er so gern zugehören wollte. Und ausgerechnet diese Aussperrer wollen jetzt am Boom Selfpublishing mitverdienen und der endlich erlangen Freiheit wieder Regeln entgegenstellen, wieder die Freiheit einschränken, wieder vorschreiben, wie man angeblich schreibt. Da spielt ganz viel Verletzung eine Rolle, das Gefühl, missachtet zu sein. Und entsprechend missachtend wird sich Lektoren gegenüber dann auch in dieser Diskussion geäußert. Braucht keiner, die wollen nur Geld machen, die wollen uns nur wieder einschränken, die wissen alles besser, sind aber zu blöd, selbst Bücher zu schreiben, die haben ja keine eigenen Ideen, deshalb müssen sie die Ideen anderer kaputt machen. Warum sollten Selfpublisher Lektoren achten, wo sie sich doch lange von ihnen verarscht gefühlt haben?
Wie sollen sie bisher mitbekommen haben, was ein Lektor wirklich leistet, was er kann und wie er ein Buch voranbringen kann?
Und wie sollen sie erfahren, dass sie möglicherweise durch die Investition in einen Lektor eben nicht 75000 € im Jahr versteuern, sondern vielleicht 125000€?
Diese gegenseitige Missachtung ist immer wieder in dieser Dauerdiskussion zu spüren, weil sie eben auf Erfahrungen basierend geführt werden, die zu Glaubenssätzen geworden sind.
Ich habe meinen ersten Roman ohne Lektorin veröffentlicht. Dachte mir, dass ich alles zig mal durchgelesen und überprüft hätte. Dann habe ich das Teil bei lovelybooks vorgestellt. Huch, haben mich die Leserinnen zerrissen. Und ich hatte doch auch für die geschrieben! Ist ja schließlich ein Liebesroman! Am liebsten hätte ich mich weinend in der Ecke verkrochen. Aber dann habe ich Geld in die Hand genommen und mir eine Lektorin gesucht. Die Investition hat sich gelohnt. Jetzt hagelt es Zustimmung. Und meinem Ego geht es wieder gut. (Der Lektoratstermin für das nächste Buch steht übrigens schon fest. Nochmals will ich das Wort Rohfassung nicht in einer Rezitation lesen.)
Lektorat oder kein Lektorat ist nicht die Frage. Ob es edler im Gemüt, geduldig zu ertragen die berechtigte Kritik, oder sich zu Wappnen gegen die Flut der Argumente…
Aber lassen wir den nordischen Friedhofsmonolog beiseite und betrachten die aktuelle Situation von Autoren und Lektoren.
Es gibt gute und schlechte Autoren. Aber auch gute und schlechte Lektoren.
Was die Sache komplex gestaltet, ist der Umstand, dass für den unerfahrenen Autor ein schlechter Lektor passender sein kann, als ein guter Lektor.
Einem Autor wächst mit der Zeit eine Hornhaut, der professionelle Abstand zum eigenen Werk.
Der typische Anfangsautor ist sehr dünnhäutig und verträgt nur sehr geringe Dosen, des Giftes, Kritik. Er identifiziert sich noch zu sehr mit seiner Arbeit.
Hier leisten schlechte Lektoren eine wertvolle Arbeit, sie gewöhnen den Autor an Kritik und andere Blickwinkel.
Für den anfänglichen Publikumserfolg bietet dies keinen Mehrwert, da viele dieser „Lektoren“ zum Bodensatz der Literatur gehören und nur dank des Umstandes einen Lebensunterhalt mit schlechtester Literatur finden, dass es keinen Berufsschutz gibt.
Was leistet ein guter Lektor?
Er identifiziert die Schwachstellen eines Textes und bietet Denkanstöße. Hier gibt es Grenzen. Niemandem gelingt es, aus einem Hundehäufchen einen wohlgefälligen Augenschmaus zu formen. Wenn die Stolpersteine in Semantik und Lesefluss einen Ghostwriter notwendig machten, besteht kein vernünftiges Leistungsverhältnis.
Die werbetechnische Dauerberieselung zu dem biografischen Erstwerk, eines Einzelhändlers erzeugt Neugier, eventuell Absatz, aber keine weiteren Käufe, weiterer Veröffentlichungen, wenn darin nicht das Geheimnis des sicheren Lottogewinnes offenbart wird.
Ein guter Lektor ist idealerweise eine anerkannte Größe der Literatur. Diese Anerkennung darf auch aus der journalistischen Ebene stammen. Er sollte bereits Bestseller begleitet haben und seine eigene Meinung nur vorsichtig dosieren.
Nie, absolut niemals, never!! darf ein Arbeitsgefälle zum Thema der Arbeit werden.
Aussagen, wie; -Ihre Unerfahrenheit ist im Skript deutlich.- Sind ein No go für Lektoren.
Grundlage des Vertrages ist zumindest ein Probetext. Dieser bestimmt die Arbeitskosten und die generelle Zusammenarbeit. Ein professioneller Lektor erkennt die Möglichkeiten der Skriptentwicklung nach wenigen Zeilen und dem Dialog mit dem Autor.
Jede Form von Bashing ist ein Grund zum sofortigen Abbruch der Zusammenarbeit.
Die übelste Form des Lektorates bietet auch das Korrektorat an, IM LAUFENDEN TEXT! Eine -never ending Story-!
Wie hoch dürfen die Kosten eines Lektors sein?
Eine schwierige Frage! Da es keinerlei Erfolgsgarantie für das Werk gibt. Und, was sich zu wenige Autoren insbesonders der Selfpublisherszene bewusst machen, sie sind Unternehmer, zu eigenem Risiko.
Zwanzig umsatzschwache Veröffentlichungen bringen keinen nennenswerten Umsatz. Eine recherchereiche Veröffentlichung kostet schnell einen fünfstelligen Betrag, der Vorarbeit.
Wenn die Veröffentlichung nur wenige tausend Euro einbringt, dann ist der Autor nach wenigen Werken am finanziellen Ende.
Auch dies Einschätzung gehört zur Arbeit eines professionellen Lektors.
Er muss den Autor darüber informieren, dass es für sein Werk, so gut es sein mag, keinen Markt gibt!
Auf einen guten (passenden) Lektor zu treffen, ist für jeden Autor ein Lotteriespiel. Und dessen Wert wandelt sich mit der eigenen Entwicklung.
Ich habe inzwischen drei Germanisten, zwei Lehrstühle der Historik und zahlreiche Möchtegernlektoren verbraucht.
Wie viel kostet nun ein guter Lektor?
Er kostet wenig Nerven, ist flexibel, fachkompetent und seine Arbeit schmerzt, aber es ist ein förderlicher Schmerz!
Dass ein gutes Lektorat jedem Text zuträglich ist, steht meines Erachtens nicht zur Debatte, sondern versteht sich von selbst.
Dass der Text von Johannes Flörsch dieser Tatsache wenig zuträglich ist, erscheint mir mindestens genau so sicher. Geht es ihm doch ganz offensichtlich weniger um eine schlüssige Argumentation, als um einen originellen Text, einen ebensolchen Schreibstil und ein heiter-intellektuelles Grundfeeling. Um das Versprechen substanzieller Tiefe, das sich nicht einer plumpen Überprüfung unterwerfen braucht, sondern sich in seiner gedrechselten Behauptung bereits genügt.
Offen gesagt, weiß ich gar nicht was ich damit soll …