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Manchmal ist das Scheitern der erste Schritt zu etwas Wundervollem – ein kreativer Raum, in dem neue Ideen blühen können. © Prinz Rupi
Scheitern als kreativer Prozess
Wer seine Kunst aufgibt, gibt sich selbst auf. Solange es geht, sollten wir daran festhalten. Manchmal ist man ziemlich weit unten. Doch dann hilft einem die Kunst, wieder aufzustehen. In diesem Sinne könnten wir das Jahr 2025 als Jahr des kreativen Scheiterns begrüßen.
Scheitern als Teil der Kunstproduktion
Die Corona-Pandemie hat die Kulturlandschaft stark erschüttert und bis heute nachhaltige Spuren hinterlassen. Veranstalter beklagen mangelnde Besucherzahlen, literarische Autoren verzeichnen erhebliche Umsatzrückgänge, und die Kunstwelt scheint sich in einem Zwiespalt zwischen Niedergang und Neuorientierung zu befinden. Kunstproduzenten – Musiker, Autoren, Maler und Grafiker – hinterfragen die Sinnhaftigkeit ihres Schaffens und suchen nach neuen Wegen.
Ein Denker, der sich intensiv mit dem Scheitern als Teil der Kunstproduktion auseinandergesetzt hat, ist der Literatur-Nobelpreisträger Samuel Beckett. Seine berühmte Sentenz »Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.« aus Worstward Ho (1983) beschreibt das zyklische Wesen des Scheiterns und Weitergehens. Während der Satz oft als inspirierende Maxime gedeutet wird, war Becketts ursprünglicher Kontext weitaus düsterer: Er betont das unvermeidliche Scheitern menschlicher Bemühungen und die Grenzen von Sprache und Kommunikation.
Dennoch ist die Popularität des Satzes in der modernen Welt ungebrochen. Besonders in der Start-up-Kultur wird er als Aufruf zu Resilienz und Innovation genutzt. Doch in der Kunst bleibt das Scheitern nicht nur ein notwendiger Prozess, sondern oft ein konzeptioneller Bestandteil des Werks selbst.
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Zwischen Pinselstrichen und zerknüllten Seiten: Kreatives Scheitern als Brücke zur Inspiration – ein stiller Dialog zwischen Kunst und Wort. © Prinz Rupi
Was ist Erfolg?
Für Kunstschaffende – Musiker, Autoren, bildende Künstler – definiert sich Erfolg häufig über äußere Faktoren: Verkaufszahlen, Kritiken, Besucherzahlen bei Lesungen, Konzerten und Ausstellungen. Die Bewertung eines Werks erfolgt oft anhand wirtschaftlicher Kriterien. Die derzeitige Sichtweise folgt einer zirkulären Logik: Ein Werk gilt als gut, weil es erfolgreich ist, und es ist erfolgreich, weil es gut ist. Doch was geschieht mit Werken, die nicht den Mainstream treffen oder wirtschaftlich keinen Erfolg erzielen?
Manuela Branz beschreibt in ihrem Aufsatz Gelungenes Scheitern, dass das sogenannte »schlechte« oder gescheiterte Kunstwerk oft nicht in die Archive der Kunstgeschichte eingeht. Sie argumentiert, dass nur das Dokumentierte zur Stabilisierung der Realität beiträgt: »Nur im Notierten lässt sich jene Erschöpfung einer Idee erkennen, die für uns das Gute herstellt; im Vergessenen aber scheint nichts Wahres gelegen zu haben.« Dies verweist auf eine problematische Selektion, bei der künstlerische Experimente und Misserfolge aus dem kollektiven Gedächtnis verschwinden.
Das Potenzial des Scheiterns
Künstlerische Produktion lebt von Versuch und Irrtum. Innovation entsteht oft erst durch Fehler und Umwege. Besonders die Kunst der Moderne zeigt zahlreiche Beispiele dafür, wie das bewusste Einbeziehen des Scheiterns zu neuen Ausdrucksformen führt. Die Dadaisten feierten das Chaos als Kunst, die Surrealisten ließen den Zufall in ihre Werke einfließen, und die Konzeptkunst stellt bis heute die Erwartungshaltung des Publikums infrage.
Auch in der Gegenwart gibt es Künstlerinnen und Künstler, die das Scheitern als Methode begreifen. Die Performance-Künstlerin Marina Abramović setzt ihren Körper extremen Belastungen aus und bringt sich bewusst an physische und psychische Grenzen. Der Musiker John Cage integrierte Zufallselemente in seine Kompositionen und stellte die Idee einer fixen musikalischen Form infrage. Schriftsteller wie Thomas Bernhard oder Elfriede Jelinek brechen mit klassischen Erzählmustern und inszenieren Sprachlosigkeit oder Wiederholungen als formale Elemente.
Das Jahr des kreativen Scheiterns
Vielleicht ist 2025 tatsächlich das Jahr des kreativen Scheiterns – nicht als Endpunkt, sondern als Möglichkeit zur Reflexion und Erneuerung. Die Kulturbranche kann aus der Krise lernen, indem sie das Scheitern nicht als Defizit, sondern als produktiven Bestandteil des künstlerischen Prozesses begreift. Kunst ist nicht nur das, was Erfolg hat, sondern auch das, was an Grenzen stößt, was experimentiert und das vermeintlich Unmögliche wagt.
Gerade in einer Zeit, in der gesellschaftspolitische Unsicherheiten das kulturelle Schaffen prägen, könnte das Bewusstsein für das kreative Potenzial des Scheiterns ein neuer Ausgangspunkt sein. Denn in der Kunst gilt: Scheitern ist nicht das Ende – es ist der Anfang einer neuen Möglichkeit.
© Prinz Rupi 2025