Der Kunstgesang der Kastraten
Von Prinz Rupi
»Evviva il coltellino« jubelte das entfesselte Opernpublikum des 18. Jahrhunderts, wenn ein Sänger im Falsett höchste Töne aus seiner Kehle strömen ließ und damit unmissverständlich deutlich machte, dass er ein »drittes Geschlecht« hatte: Er war nämlich kastriert! Der Zwischenruf »Es lebe das Messerchen« markierte den Gipfelpunkt musikalischer Lustbarkeit, den Musikliebhaber vergangener Jahrhunderte genießen durften: den Kunstgesang der Kastraten.
Kastraten zählten zu den Superstars des Barock. Namen wie Farinelli und Caffarelli sind bis in unsere Zeit legendär, ihre Karrieren sind Gegenstand von Aufsätzen und Filmen. Die meisten Entmannten stammten aus Süditalien, wo die Herstellung von Kastratensängern fabrikmäßig betrieben wurde. Hunderttausende Knaben bettelarmer Familien wurden in der vagen Hoffnung, sie würden reich und berühmt, dem Messerchen zugeführt und unter teilweise unvorstellbaren Bedingungen kastriert.
Mit dem Slogan »Qui si castrano ragazzi a buon mercato« (»Hier werden Knaben preiswert kastriert«) warben Barbier- und Kurpfuscherstuben um Kundschaft. Die Verstümmelten wurden darauf in Konservatorien und Musikschulen der Stimmbildung unterzogen, wobei tausende als unbegabt ausgesondert und einem unglücklichen Schicksal überlassen wurden. Diejenigen, deren Stimme ausreichte, erhielten eine gute Ausbildung und wurden an Kirchenchöre, Theater und Opernhäuser vermittelt.
Wesentlich begünstigt wurde der Kastratenhandel durch die Bigotterie der römischen Amtskirche. Vor allem päpstliche Kapellen und Chöre beschäftigten Kastraten in Mannschaftsstärke. Die Begründung lieferte der Apostel Paulus im 1. Korintherbrief: »Wie in allen Gemeinden der Heiligen sollen die Frauen in der Versammlung schweigen.« Papst Clemens IX. erließ 1688 sogar ein Verdikt, in dem es hieß: »Keine Weibsperson bei hoher Strafe darf Musik aus Vorsatz lernen, um sich als Sängerin gebrauchen zu lassen«.
Gleichzeitig sprach sich das offizielle Rom gegen die Kastration aus. Das hinderte die Päpste jedoch nicht, bis in die jüngste Zeit Kastratensänger zu beschäftigen. Alessandro Moreschi (1838-1922) war einer der letzten Kastraten, der in der Sixtinischen Kapelle sang. Moreschi ist übrigens der einzige Kastrat, von dem Tondokumente existieren. Seine einhundert Jahre alten Schallplattenaufnahmen vermitteln indes nur einen schwachen Eindruck der Spannweite seiner Stimme.
Heute versuchen Countertenöre, die vielen von Komponisten wie Händel, Meyerbeer, Pergolesi, Giacomelli und Hasse eigens für Kastratenstimmen geschrieben Opernarien und Werke der Alten Musik darzubieten. Konnten Kastraten sowohl Kopf- wie Bruststimme nutzen, singt der Countertenor mittels einer speziellen Resonanztechnik in Falsett-Technik, also im Kopfregister der Stimme. Den Stimmumfang des Kastraten erreicht er nur selten.
Alessandro Moreschi singt
Aber auch Interpretinnen, die über den Stimmumfang von Sopran und Alt verfügen, singen »Kastratenmusik« und vermitteln uns heute eine ungefähre Vorstellung von der Vollkommenheit des virtuosen Gesangs, der zur Barockzeit herrschte. Cecilia Bartoli verfügt als Koloratur-Mezzosopran über einen Stimmumfang von weit über drei Oktaven. Dem Opfer der im Namen der Musik kastrierten Knaben ist ihre ungewöhnliche CD »Sacrificium« gewidmet.
Cecilia Bartoli präsentiert eine Auswahl von Arien aus dem Repertoire der für den Komponisten Nicola Porpora geschriebenen »Schule der Kastraten«. Dieser gilt als Ausbilder von Farinelli, Caffarelli und anderen Superstars als bedeutendster Stimmbildner des 18. Jahrhunderts. Die Stücke zählen mit unendlichen Koloraturketten und den die Lungen sprengenden Längen von Atem- und Phrasierungsbögen sowie dem von Kontra-Alt über den Mezzosopran bis hin zum Sopran sich spannenden Tonumfang zum Anspruchsvollsten, was je für die menschliche Stimme komponiert wurde.
Die Auswahl lässt in ihrer Verschiedenartigkeit die verschwundene Epoche der Kastraten in all ihrer barock-schillernden Herrlichkeit vor unseren Sinnen neu entstehen. Gleichzeitig bietet sie eine Möglichkeit, der vielen Knaben zu gedenken, die Opfer von religiösen Eiferertum, Frauenfeindlichkeit und modischer Überdrehtheit wurden.
Oh, interessant! Da werde ich gleich mal reinhören.
Die Heuchelei des Heiligen Stuhles war schon enorm, einerseits die Kastration zu verbieten und andererseits den Gesang zu preisen und die Sänger reichlich zu bezahlen.
In einem Buch – mal sehen wo das steckt, ich weiß ich habe es irgendwo – geht es um die Kastraten, und welche Blüten das öffentliche Verbot des „Schneidens“ trieb. Es gab die haarsträubendsten Schilderungen vermeintlicher Unfälle bei denen das Gemächt der Knaben zu Schaden gekommen sei, von wilden Ebern, übersprungenen Zäunen bis hin zu „gestürzt und auf eine Sichel gefallen“.
Ich muß wirklich mal nachsehen wo das stand, kann aber auch sein daß das Buch nur geliehen war :-/
Für Literaturtipps wäre ich dir dankbar, ich recherchiere gerade das Leben von Alessandro Moreschi, dem letzten Kastraten.
Zu den „Alibi“ zählen neben dem spitzen Zaunpfahl auch „Missverständnisse“ mit dem behandelnden Arzt.
Jaja, bei den vielen stark unterschiedlichen Dialekten in Italien war es schon mal drin daß statt der Mandeln… 😉
Ich mach mich mal á la recherche pour ce livre, mon chèr!
Mercie bien, die „Aktenlage“ zum Thema ist nämlich recht dünn (wen wundert´s!)
Vielleicht hat ja auch da ein Doktor etwas mißverstanden und sämtliche Aufzeichnungen entfernt anstatt der Gallenblase?
Da hatten wohl viele dottores das Messerchen in der Hand
PS. Kennst du zufällig die Veröffentlichung von Hubert Ortkemper: »Engel wider Willen« zum Thema?
Ein ganz spannender Bericht über ein exklusives Thema. Leider verdirbt er mir ein wenig den Genuss an Countertenor-Stücken. Es ist nicht immer gut, wenn man zu viel weiß.
In der von mir hier im Opernblog vorgestellten Bestmannoper des Axel Nowitz sind lange Stellen für Countertenor enthalten, die wunderschön klingen. Das Multitalent Axel Nowitz sang in Thomas Ostermeiers „Ein Sommernachtstraum“ an der Schaubühne Berlin ebenfalls eine Partie aus einer Händel-Oper, und zwar wunderschön, wofür er Szenen-Applaus erhielt.
Sorry, wenn der Text dir die Freude am Countertenor verdirbt, das ist nicht Sinn der Übung. Es geht darum, den Altus einzuordnen, er bringt eine hervorragende Leistung – zumal wenn man bedenkt, dass er nicht »verschnitten« wurde.
Zwar wird heute nicht mehr „geschnitten“, sicher, aber trotzdem bleibt von der „Geschichte“ immer was hängen. Aber damit muss man halt leben. Dein lobenswerter Bericht schlägt viele Seiten an. Eine davon ist, wie Du sagst, dem Altus Gehör zu verschaffen.
Nur zur Ergänzung: in Indien ist die Kastration noch ein großes Thema. Dabei geht es aber in erster Linie um Sex.
Es gibt auch Leute, die wohl, als blande Anomalie, einen „unvollständigen Stimmenbruch“ hatten (und durchaus manneskräftig sind usw.), wie Jon Anderson, der Leadsänger von „Yes“: eines der Markenzeichen dieser überuas vortrefflichen Tanzmusik-Kapelle, ach…
so gern ich auf frueher mal gesungen habe , würde ich diesne schritt niiiiiie in betracht ziehen …
🙂
Meinst du SchRitt oder SchNitt???
den schritt zum schnitt ………
🙂
Freddy Mercury hatte auch einen unheimlichen Klangumfang – 3 Oktaven oder so.
Lieber Rupi, sehr interessant recherchierte Geschichte. Danke dafür!
Dankeschön nach Wien!
Stevie Wonder und Barry Gibb (Bee Gees) zählen wohl auch zu diesen Wundern des Stimmunfangs.
Öhm… Ja. – Freddy war noch mal ’ne Klasse für sich, nich’…
Der Dino, Auskenner, hohoho!
vielen dank
Ich finde es unvorstellbar scheinheilig sich über die Kastratensänger zu mokieren. Viele wären verhungert oder einfach nur mittellose Bauern mit 15 Kindern geworden. So sind sie in die Geschichte eingegangen. Wie viele Mädchen werden HEUTE noch unter unvorstellbaren Bedingungen mit einer Rasierklinge beschnitten und vernäht und wen kümmert es? Und das passiert im Namen einer unsinnigen Religiion. Ich kann nicht umhin zu sagen, dass ich die Kastration der Knaben weit weniger schlimm finde. Eine Penektomie wurde schließlich nicht vorgenommen, sie waren immer noch Männer.Und sie hatten als Geschenk und Ausgleich, Ruhm, Erfolg und diese wunderbaren Stimmen.
Wo macht sich denn der Beitrag über die Sänger lustig, oder äußert sich abfällig oder spöttisch? Hast Du überhaupt gelesen? Oder beziehst Du Dich auf die Arbeit von Cecilia Bartoli???
Ich hatte das nicht direkt auf den Beitrag bezogen gemeint – den finde ich sehr gut. Natürlich habe ich ihn gelesen.
Es geht darum, dass ich mich sehr mit dem Thema beschäftigt habe…und ich es eben für mich persönlich nachvollziehen kann, warum damals die Kastrationen durchgeführt wurden. Vielleicht habe ich mich auch falsch ausgedrückt. Das tut mir leid. Ich finde das Thema Kastraten mehr als interessant und kann gar nicht genug davon lesen! Daher danke für den Beitrag!