Während meiner PR-Arbeit für eine internationale Kunstausstellung lernte ich den seinerzeit schon weltberühmten Joseph Beuys kennen. Als Seelenverwandte schlossen wir spontan Freundschaft.
Professor Wilhelm A. Kewenig, Senator für kulturelle Angelegenheiten im einstmaligen Westberlin, hatte mich anno 1981 zum Pressesprecher der geplanten Ausstellung »Zeitgeist« berufen. Diese repräsentative Schau der Neuen Wilden im frisch restaurierten Martin-Gropius-Bau direkt an der Berliner Mauer bescherte der Stadt international positive Schlagzeilen und schrieb Kunstgeschichte.
Während meiner Tätigkeit, es war für ein paar Monate ein Knochenjob rund um die Uhr, lernte ich den omnipräsenten Joseph Beuys kennen. Wir wurden Freunde.
Beuys: Ein Künstler folgt seinem Stern
Ruprecht Frieling zum 99. Geburtstag des Ausnahmestars
Durch meinen Einsatz als Pressesprecher der Kunstausstellung »Zeitgeist« begegnete ich internationalen Künstler wie Julian Schnabel, Cy Twombly, Andy Warhol, Salomé, A. R. Penck, Sandro Chia, Markus Lüpertz, Georg Baselitz, Mimmo Paladino und Jörg Immendorf. Sie kamen auf ein Schwätzchen in mein Pressebüro, wenn sie an ihren Installationen arbeiteten oder sich mit Hängung ihrer Bilder beschäftigten. Fluxus-Künstler Joseph Beuys, dem ich bei seiner ironischen Installation »Hirschdenkmäler« und beim Druck der Arbeit »Goldener Hase« in der Steglitzer Druckerei Hentrich helfen durfte, freundete sich sogar mit mir an. Er blieb mir bis zu seinem frühen Tod im Januar 1986 verbunden.
Bei dem »Hirschdenkmal« im Gropius-Bau handelte es sich um einen kolossalen Lehm-Berg, mit dem Beuys als Soziale Plastik eine völlig neue Kategorie in der Kunst schaffen wollte. Lehm galt ihm als Stoff der Erde, und so wurden Wagenladungen des schweren Materials in das Atrium des ehemaligen Kunstgewerbemuseums gekippt.
200 Kubikmeter Erdreich sollte in dem historischen Lichthof aufgetürmt werden. Der Boden hätte die tonnenschwere Last keinesfalls ausgehalten, das Gebäude wäre ernsthaft beschädigt worden. Deshalb wurde das Kunstwerk mit großen Styroporblöcken unterfüttert, auf die dann der Lehm aufgebracht wurde.
Neben dem Mount Everest aus Lehm errichteten wir ein grünes Zweipersonenzelt, das dem Meister Unterschlupf für sein monatelanges Arbeiten am Kunstwerk bieten sollte. Alles trug Werkstattcharakter und wirkte so authentisch, als sei der Kunst-Schamane Tag und Nacht beschäftigt, mit Kelle und Spaten das Denkmal zu errichten und hätte dazu seine komplette Werkstatt eigens von Düsseldorf nach Berlin verlegt. Das war jedoch pure Show!
Eines Morgens hatte ich das Vergnügen, dem Morgenmagazin des SFB ein Vorausinterview über die kommende Ausstellung geben zu dürfen. Es war gegen sieben Uhr in der Frühe. Wir standen vor dem noch unfertigen Lehm-Haufen im Atrium des Museums, und ich erklärte blumenreich, dass sich Meister Beuys die Seele aus dem Leib schufte, um das Opus termingerecht zu vollenden. Das Interview lief wie am Schnürchen. »Lassen Sie uns den Künstler selbst befragen, er wohnt doch hier im Zelt«, schlug die Reporterin plötzlich vor. Heiliger Bimbam, das war eine Livesendung! – Was sollte ich tun?
Beuys hatte in Wahrheit keine Minute in dem Unterschlupf verbracht, das Zelt diente ausschließlich der Inszenierung. »Das ist eine tolle Idee«, säuselte ich in das Mikrophon, »aber gerade um diese Zeit joggt Professor Beuys wie jeden Morgen ums Haus, um fit zu bleiben. In einer guten halben Stunde ist er wieder hier!«. Zu der Zeit war die Sendung natürlich längst vorüber. – Schwitz! – Das ging gerade noch einmal gut. Ein Pressesprecher muss sich eben auch gut herausreden können, gerät er einmal in die Klemme. – Meister Beuys jedenfalls amüsierte sich königlich über die Geschichte.
Joseph Beuys und »Berlin okkult«
Als Öffentlichkeitsarbeiter, PR-Clown und Hofnarr stand ich unter einem permanenten Erfolgszwang. Dies trieb mich von Höhepunkt zu Höhepunkt, und jeder Gipfel musste höher sein als der zuvor erklommene. Ich brannte wie eine Zündschnur. Die Mahnung meiner Freunde, mein Pulver vorsichtiger zu verschießen, erreichte mich nicht.
Aufgrund der Vielzahl der Ereignisse und Aktionen war ich extrem aufgeputscht und fühlte mich wie ein Tänzer auf dem Vulkan des Zeitgeistes. Von früh bis spät hüpfte ich wie ein aufgezogener Roboter zwischen den verschiedenen Büros umher, in denen ich Mitarbeiter hatte, die alles umsetzen mussten. Dabei war mir stets bewusst, wie hauchdünn das Eis war, auf dem ich meine Pirouetten drehte. Da ich kein Freund von ausgefeiltem Taktieren und Schleimen war, das direkte Wort und die ehrliche Aussprache bevorzugte, entschloss ich mich, mir ein zusätzliches Standbein zu schaffen, das mich von den Launen des Marktes absichern sollte und baute meinen Verlag aus.
Wesentlich für den Markterfolg eines Verlages ist nur in seltenen Fällen die Qualität seiner Bücher. Oft sind schon ein fetziger Titel und eine poppige Verpackung bares Geld wert. Diese Erfahrung machte ich, als ich 1985 den ersten esoterischen Stadtführer der Welt ersann. Die Idee für dieses ausgefallene Projekt entstand an einem sonnigen Nachmittag, den ich mit meinem Mitstreiter Michael Scharna an der Havel verlebte.
Wir freuten uns des prächtigen Wetters, rauchten ein wenig Gras, träumten den vorüberziehenden Booten nach und plauderten über den aktuellen Trend, der in jenen Tagen deutsche Lande in Bann schlug. Es ging um das Boomen von Wahrsagern, Hellsehern und Heilern, die Stadt und Land überschwemmten.
»Lass uns ein Telefonbuch mit Interviews und Fotos von all diesen Typen zusammenstellen«, schlug ich vor und wusste im gleichen Augenblick. Dieses Stadtadressbuch musste »Berlin okkult« heißen, und es sollte Joseph Beuys gewidmet sein, der mich bei der Zusammenarbeit an den Hirschdenkmälern zu mehr Verrücktheit und Originalität motiviert hatte.
Um die Idee vorab zu testen, setzte ich mich noch in der gleichen Nacht an mein Telefaxgerät. Diese seinerzeit von Redaktionen gern genutzten Geräte sind mittlerweile nur noch in Museen zu bestaunen. Mit Hilfe eines Lochstreifens konnten Texte an eine beliebige Zahl von Empfängern versandt werden. Ich verfasste einen schmissigen Werbetext, schickte ihn an einige hunderte Zeitungsverlage und kündigte das Erscheinen des Stadtführers »Berlin okkult« an. Die Resonanz war überwältigend!
Nahezu alle angeschriebenen Redaktionen vom »Spiegel« bis zum »Börsenblatt des deutschen Buchhandels« druckten ohne Rückfrage oder weitere Prüfung die Meldung ab, so als hätten sie nur darauf gewartet. Das Thema lag offensichtlich voll im Trend. Vielleicht lag es am Halleyschen Kometen, der Ende April 1986 mit Supergeschwindigkeit auf die Erde zu (und auf einer elliptischen Bahn wieder zurück in die Weiten des Weltraums) raste und bereits im Vorfeld ein wildes Lamento heiliger Hannahs über das Ende der Welt auslöste?
Das auf die Presseberichte folgende monströse Leserecho schlug alle Rekorde. Nach wenigen Tagen türmten sich insgesamt 32.000 Bestellungen aus dem Handel und von Privatleuten auf meinem Schreibtisch. 32.000 Leute wollten »Berlin okkult« besitzen und lesen! In meiner gesamten Laufbahn habe ich nie wieder einen solch spontanen Blitzerfolg eines Einzeltitels erlebt, der lediglich als lokale Neuerscheinung angekündigt wurde. Heute noch beeindruckt mich der Sturm der Ereignisse, der mit einer einzigen kurzen Telex-Meldung losgetreten wurde.
Zunächst einmal schuf diese Bestellflut ein echtes Problem. Denn der durch meine Pressenotiz gepuschte und stark vorbestellte Titel existierte bislang nur in der Phantasie. Es war noch keine Zeile geschrieben, kein Foto geschossen worden. Mir war nur verschwommen klar, was in dem Buch stehen sollte, und mir wurde massiv mulmig im Magengrund.
Joseph Beuys: »Mach es einfach!«
Verzweifelt rief ich Beuys an. Joseph schmunzelte über die Geschichte und meinte, nun müsse ich halt ran und das Buch liefern. »Mach es einfach«, posaunte er mir ins Ohr, und ich tat es.
Blitzschnell wurde Material für ein 96-seitiges Taschenbuch zusammengetragen, recherchiert und geschrieben. Wir tippten die Texte sauber mit einer Typenradmaschine in Blocksatz auf Bögen, die zuvor mit einem Rahmen aus Letraset-Reibefolie verziert worden waren. Parallel dazu wurden aktuelle Fotos geschossen. Einem jungen Mädchen mit besonders ausdrucksstarken Augen wurde ein Tuch umgelegt und ein Tablett mit zwei Kerzen und einem Totenkopf in die Hand gedrückt, den sie dem Betrachter entgegenstreckte. Damit entstand das unheimliche Porträt einer jungen Hexe. In jedem Keller zwischen Kreuzberg und Charlottenburg schien es plötzlich Hexenbeschwörungen und schwarze Messen zu geben.
Die halbe Stadt schien außerdem Beziehungen mit Außerirdischen zu pflegen. Auf einem unserer Fotos dokumentierten wir eine betagte Berlinerin, die mit Kopfhörern vor einem Kurzwellenradio hockte, über das sie in Kontakt mit Verstorbenen trat. Es meldeten sich Frauen, die sich von Ufo-Besatzungen geschwängert glaubten und schworen, von der Venus zu stammen. Hobbymaler fielen in Trance, während ihnen Geister aus anderen Sphären die Hand führten und ausgefallene Bilder zu Papier brachten, die geheimnisvolle Schutzengel und Wohnhöhlen der Fabelwesen zeigten.
Eine Fotografie zeigte einen indischen Heilslehrer mit Turban und weißem Bart, der im Lotussitz auf einem Tisch thronte und hunderten Jüngern predigte. Alles war wahr, wirkte aber erst in der Zusammenschau richtig.
Das gestern noch links und antiautoritär eingestellte Westberlin sehnte sich plötzlich nach spiritueller Erlösung. Sekten, Glaubensvereinigungen und Freikirchen schossen wie Krokusse in der Frühlingssonne ans Licht. Wir veröffentlichten alle Adressen und Angebote, derer wir habhaft wurden. Gemischt wurden diese Informationen und Berichte mit historischen Stichen und Zeichnungen. So entstand ein lebendiger Stadtführer, der den Eindruck vermittelte, er führe den Leser tatsächlich geradewegs in die esoterische Gegenwelt der Stadt.
Durch den Erfolg bei »Rock-City« angespornt, wurden zusätzlich noch Anzeigen besorgt. Wir gewannen Magier, Kartenleger und Astrologen, die neue Kunden suchten und bereitwillig für viel Geld ganzseitige Anzeigen in dem auflagenstarken Branchenführer schalteten. Schnell fanden sich Leute, die in Berlin Internationale Astrologietage veranstalten wollten und unser Medium als Werbeträger nutzten, um Berlins Internationales Kongresszentrum ICC zu füllen.
Über Nacht wurde das Buch schließlich in einem Moabiter Großbetrieb gedruckt und gebunden. Ich rechnete mit dem Schlimmsten und machte mich aufgrund der schnellen Produktionsweise von insgesamt knapp vier Wochen auf heftige Kritik gefasst. Doch Frechheit siegt, und Verlag, Herausgeber und Redaktion wurden mit Lob überhäuft. Vor allem die esoterische Szene war ganz erpicht auf den Titel; allein der Berliner Esoterikbuchhändler Richard Schikowski in der Motzstraße 30 verkaufte im Handumdrehen mehr als tausend Exemplare der Veröffentlichung. – Mein Finanzamt erinnert sich heute noch gern an diese Sternstunde.
Die Freundschaft zu Joseph Beuys hatte sich damit auch in verlegerischer Hinsicht ausgezahlt. Kurz darauf, im Januar 1986, wurde ihm der Wilhelm-Lehmbruck-Preis der Stadt Duisburg verliehen.
Nur elf Tage später, am 23. Januar, verstarb der Meister in seinem Atelier am Drakeplatz 4 in Düsseldorf-Oberkassel nach einer Entzündung des Lungengewebes an Herzversagen. Er wurde 64, während ich auf meinen 34. Geburtstag zusteuerte. Seine Asche wurde in der Nordsee beigesetzt.
Joseph Beuys war für mich ein fast väterlicher Freund, der mich bestärkte, meinem Stern treu zu bleiben. Der Schelm hatte wie kaum ein anderer den Schwachsinn unseres Kunstbetriebs verinnerlicht und bewusst damit gespielt, um sich zu verwirklichen. Mein Lebensmotto »Folge deinem Stern« bekam durch dieses Ausnahmetalent neue Nahrung und prominente Unterstützung. Dafür bleibe ich ihm dankbar und verbunden.
entstammt
meiner Lebensabschnittsgeschichte
Heiße Geschichte – und heute kaum noch vorstellbar, sind doch sämtliche Themen abgegrast und locken keinen Hund mehr hinterm Ofen hervor. Jedenfalls nicht in dieser Intensität.
Wer an sein Ding glaubt, hat auch heute noch Chancen, nachhaltig wahrgenommen zu werden, lieber Johannes.
Es gibt Menschen, die haben „alles“ mitgemacht und nix kapiert. Und es gibt Menschen, die viel erlebt haben und es lieben, heute noch. Was? Das Leben. Sogar ihr eigenes. Und erzählen daraus. Danke Prinz Rupi(:
Das ist zauberhaft gesagt, liebe Kiwi. Ich bin überzeugt, wer sein eigenes Leben – natürlich möglichst selbstkritisch – reflektiert, der kommt mit sich selbst besser klar. Er muss weniger verdrängen und kann positiv zu dem stehen, was er erlebt und vielleicht sogar mit bewegt hat.
Wir alle sind Zeitzeugen, wir alle haben unendlich viel erlebt. Ich würde es toll finden, entschlössen sich viel mehr Menschen, ihre Erinnerungen an gute wie an schlechte Zeiten zu Papier bringen. Das muss ja nicht zwangsläufig veröffentlicht werden, aber es sollte raus!
Es war in den späten 80ern, als ich, in Aachen ohne dass es ich es drauf angelegt hatte, in einer griechisch geführten Kneipe mit einer Gruppe Aachener Beuys-Jüngern in Kontakt kam. Ich machte ein kleines mieses Witzchen über Beuysche Kunst und erntete in der Kneipe sofort das, was man heute Shit-Storm nennt.
Zuvor kannte ich Beuys nur von seinen als „Skandal“ apostrophierten Aktion auf der Kassler documenta, als er eine Zarenkrone zu einem Osterhasen eingeschmolzen hatte und Besucher in einem Raum auf Kassette deren Meinung dazu hinterlassen konnte. Die Reaktionen waren ziemlich geharnischt (heute Hate-Speech genannt) und für mich noch unverständlicher, weil die Krone ja eh nur eine Kopie war. So kamen zwei Dinge zusammen: eine mir unverständliche Reaktion und die mir noch unverständlicheren Reaktionen der Zuschauer. Das war mir zu skurril.
Als ich dann in der Aachener Kneipe zu der Osterhasenaktion mein Witzchen abließ, lernte ich einiges über Menschen. Und nicht nur über Beuys, sondern auch über das Selbstverständnis seiner damaligen Jünger. Es war eine interessante Erfahrung.
Es gibt Menschen, die haben “alles” mitgemacht und nix kapiert. – genau, und es wird immer geben..
Es wird auch stets Leser geben, die kryptische Kommentare liefern, lieber Tobias. Wen oder was meinst du denn bitte???
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