Was ist das Lieblingsgericht eines Protagonisten aus deinem jüngsten Buch, fragt mich Vanessa Carduie vom Blog der Schicksalsweber. Die Frage ist gemein, denn sie richtet sich ausschließlich an Belletristik-AutorInnen.
Als Verfasser von Non-Fiction, also als Sachbuchautor, bekommen meine Protas nämlich nichts zu essen. Schlimmer noch: Es gibt überhaupt keine Protagonisten!
Ach, wäre ich doch Verfasser von ChicLit, Romance oder Erotik, dann gäbe es ein mehrgängiges romantisches Candlelight-Dinner, bevor der Prota die Dame seines Herzens verzehrt …
Ach, wäre ich doch Krimischreiber, dann würde dem Kommissar beim Verzehren von Hausmannskost in seiner Stammkneipe die Erleuchtung kommen, wer denn der Täter ist …
Ach, wäre ich doch Schöpfer von Fantasyliteratur, dann würden Zwerge meinem Helden ein fürstliches Mahl nach seinem Geschmack bereiten und Elfen ihm Tau aus Blütenkelchen kredenzen …
Doch, Halt!
In meinem Opern(ver)führer »Der Ring des Nibelungen« versorgt Sieglinde einen Wanderer, den es in ihre Hütte verschlagen hat, mit kühlendem Quell. Als dann ihr Ehegemahl von der Jagd heimkehrt, mixt sie diesem einen Schlaftrunk, der mit K.-o.-Tropfen versetzt ist.
Kaum liegt der Chef des Hauses im komatösen Schlummer, fallen Sieglinde und der Fremde, der sich noch kurz als Siegmund vorstellt, im Licht des fahlen Mondes übereinander her. Im Orchestergraben toben derweil die Tubisten.
Siegmund packt Sieglinde und reißt ihr das Hemd vom Leib. Das Orchester spürt, dass es jetzt zum heißesten One-Night-Stand der Operngeschichte kommt, und spielt mit allem, was vorhanden ist. Die Musik steigert sich zur Ekstase.
Siegmund und Sieglinde fallen übereinander her und zeugen einen neuen Recken. Er wird der Protagonist, der dringend für den Fortgang der Geschichte im dritten Teil des »Rings« benötigt wird: Siegfried, der freie Held!
Dieser wirkmächtige Schlummertrunk dürfte das Lieblingsgetränk meiner Helden sein. Ist es das, was die Schicksalsweber wissen wollten?
Oder denken sie an die herrlichen Äpfel aus dem Garten der Jugend, den die Göttin Freya bewacht? Wer täglich einen dieser Äpfel genießt, bleibt forever young. Gilt leider nur für Götter.