Peter Lunds neues Familien-Grusical in der Neuköllner Oper basiert auf einem Wortspiel. Kinder haben zu viel Energie singt das zehnköpfige Ensemble und gibt doppelsinnig das Thema des Stückes vor. Denn es geht um den Raub von Energie und die notwendige Energie, dagegen anzugehen.
Frau Zucker will die Weltherrschaft lautet der Titel des neuen Musicals von Peter Lund, der mit Das Wunder von Neukölln sich selbst und der Neuköllner Oper den Maßstab setzte, der seitdem für deutsches Musiktheater von unten gilt. Die bitterböse Frau Zucker lockt Kinder in ihre Wohnhöhle und bindet sie mit der sozialen Zuwendung, die ihnen in ihren Familien verwehrt wird, ebenso wie mit süßem Naschwerk. Ziel der alten Hexe ist, Hänsel und Gretel samt der Gebrüder Grimm lassen grüßen, die Kinder mit Zucker zu mästen, um sie dann energetisch auszusaugen. Denn die Energie eines einzelnen Kindes ist so stark, dass eine Stadt wie Berlin damit vier Jahre lang mit Strom versorgt werden kann.
Frau Zucker wird es leicht gemacht. Hansi, der dicke Sohn des Hauswarts, der daheim geschlagen wird, hockt auf ihrer Couch und mampft Leckereien vor dem Fernseher. Tinchen, vernachlässigte Tochter einer depressiven Mutter, kommt ebenfalls täglich gern vorbei und genießt das künstliche Idyll. Lediglich die quirlige Meg verweigert sich dem süßen Sog.
Obwohl ihre Eltern ständig unterwegs sind und ihre Tochter dem zotteligen Babysitter Pauli überlassen, der sie mit Klebeband fesselt und in den Schrank sperrt, damit er ungestört Fernsehen kann, traut sie Frau Zucker nicht über den Weg. Meg spioniert ihr nach und entdeckt das gruselige Geheimnis des Hexenheims: Assistiert von dem wieselig-klebrigen Vertreter Herrn Braasch, mit dem sie offenbar nicht nur ein geschäftliches Verhältnis hat, saugt Frau Zucker die Kinder aus. Auftraggeberin ist Frau Doktor Giftig, die ihren Namen zu Recht trägt und hinter einer Maschine steckt, die sich in der Duschkabine im Zucker-Heim verbirgt. Wer dort hineingesteckt wird, verliert seine jugendliche Energie und kommt nur als leblos-erwachsener Zombie wieder heraus.
Der Stoff bietet damit alle Voraussetzungen für eine spannende und turbulente Handlung. Meg versucht, ihre Freundin zu retten. Bei den Erwachsenen stößt sie dabei auf Unverständnis. Die glauben, das Kind spinne und leide unter Wahnvorstellungen. Meg hat indes genügend Energie, die Story zu einem glücklichen Ende zu bringen. Wie ihr das gelingt und welche pfiffig-schräge Auflösung das Grusical findet, sei hier indes keinesfalls verraten. Dazu muß man Peter Lunds mitreißende Inszenierung der Neuköllner Oper schon selbst sehen.
Die ungestüme Spielfreude und enorme Energie der jungen Darsteller allein sind schon ein visuelles Erlebnis. Mehrheitlich noch Teilnehmer des Studiengangs Musical/Show an der UdK Berlin zeigen sie in einer bis ins kleinste Detail abgestimmten Choreographie (Neva Howard) eine nahezu perfekte Leistung. In schauspielerischer und tänzerischer Hinsicht sind die Charaktere bis in die kleinsten Gesten ausgefeilt. André Haedicke als verfressener und obrigkeitshöriger Hauswartssohn Hansi spielt mit einer derartigen Überzeugungskraft, dass sich manch ein gestandener Staatsschauspieler hinter seiner Aura verstecken kann. Angela Bittel überzeugt in der Maske der lieben Frau Zucker mit turmhohem Toupet, die sich als gnadenlose Kinderhasserin entpuppt. Nadine Aßmann spielt die unsympathische Frau Doktor Giftig so stark, als habe sie selbst von der Droge Hochbegabung genascht.
Aber auch in musikalischer Hinsicht zieht Frau Zucker alle Register der Operette. Tondichter Wolfgang Böhmer schrieb ein Potpourri zündender Songs, Duette und Terzette, die von einer sechsköpfigen Band ausgeführt werden und von Schmusewalzer bis Rap reichen. Geschickt setzt er damit die erforderlichen Akzente, um die aktionsreiche Grusel-Soap auch akustisch zu beleben. Dabei brilliert die eigentliche Hauptdarstellerin des Musicals, die von Walesca Frank verkörperte freche Meg. Sie tanzt, singt und spielt die frech-intelligente Mädchen-Heldin, die kritisch hinter die Kulissen blickt und sich nicht verbiegen lässt.
Frau Zucker will die Weltherschaft ist ein für die ganze Familie geeignetes Musiktheater der Spitzenklasse. Wer sehen will, wie schrille Zicken, tumbe Dumpfbacken und ignorante Eltern aufeinander prallen, der macht sich auf nach Neukölln.
Wunderbar, wie Du wieder einmal über eine Inszenierung der Neuköllner Oper berichtest. – Und den OpernBlog mit Leben erfüllst. Das Gewissen plagt mich, weil ich nicht über das grandiose Erlebnis in Bochum, nämlich Deckers Inszenierung von Tristan und Isolde berichtet habe. Außerdem waren die Konzerte des Morgenland-Festivals hier in Osnabrück wieder ganz ausgezeichnet.
Uuups , ich dachte beinahe, der Zuckerberg würd sich um operieren lassen…
Ausserdem heisst es doch, das Kindermund die Wahrheit kund tun würde….
🙂
dass die Bochumer Inszenierung großartig gewesen ist, habe ich auch gelesen. Es war ja vorab als Wagnis für die Triennale bezeichnet worden, umso schöner, dass es gelungen ist.
ich brauche leider nur auf einen Elternabend zu gehen, um ignorante Eltern und tumbe Kinder zu erleben. Umso mehr würde mich die Inszenierung aber reizen.
Saaaagt mal, edler Prinz, was haltet ihr von der Idee, eure Favoriten einem geneigten Publikam in der Art des Gernseh-Clubs oder zumindest ähnlich dem zu präsetieren…?
🙂
Über das Morgenland-Festival habe ich über den Twitterkanal „KlassikAkzente“ ein wenig berichtet. Aber ein Augenzeugenbericht wäre natürlich um Klassen wertiger und besser!
Manchmal bin ich echt froh, um die Freuden des Vaterseins herum gekommen zu sein
Ich bin für alles offen, so lange ich nichts selbst organisieren muss!
Da wäre ja nicht viel zu „organisieren“ , Zeit- und Treffpunkt sind über den Blog doch schnell ausgemacht…
🙂
Da kenn ich noch einen , was die Weltherrschaft betrifft….
🙂
„Grusical für die ganze Familie“ – eine schöne Beschreibung. Tolles Stück übrigens!
Meine Site – schaut mal rein!