In einer groß angelegten Ausstellung zeigt das Deutsche Historische Museum in Berlin bis zum 31. Oktober 2017 »Die Erfindung der Pressefotografie«. Ausgewählt wurden rund 350 Fotografien aus der insgesamt fünf Millionen Fotos umfassenden Sammlung Ullstein. Am Beispiel der Ullstein-eigenen »Berliner Illustrirten Zeitung« (BIZ) wird aufgezeigt, wie sich die Pressefotografie zu einem eigenen Genre entwickelte
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts erschienen in Deutschland Zeitschriften, die mit Holzstichen nach Zeichnung bebildert waren. Erst mit dem um 1880 entwickelten neuen Verfahren der Autotypie konnten Fotografien auf Papier gedruckt werden. Die wöchentlich erscheinende »Berliner Illustrirte Zeitung« (BIZ), die dem Verleger Leopold Ullstein gehörte, machte sich die neue Technik zu eigen und begeisterte damit breite Leserschichten. Mit dem steigenden Bedarf an aktuellen Fotos bildete sich ein neuer Berufsstand: Pressefotografen bedienten die Nachfrage, Bildredakteure sorgten für Nachschub, Archivierung und eine enge Verzahnung mit den Textredaktionen.
Bis weit in die 1920-Jahre schleppten sich die Pressefotografen mit großformatigen Plattenkameras ab, die schon aufgrund ihres Gewichtes ein Stativ benötigten. Wegen der relativen Schwerfälligkeit der Kamera dominieren Motive in den Bereichen Landschaft, Architektur und Porträt. Auch Fotografien aus fernen Regionen, beispielsweise den Kolonien in Deutsch-Ostafrika, faszinierten die Leser und suggerierten die Überlegenheit der Kolonialherren gegenüber den unheimlichen »Wilden«.
Die Entwicklung tragbarer und immer leichterer Fotoapparate ließ es zu, dass auch bewegte Objekte – beispielsweise beim Sport – aufgenommen werden konnten. Zum beliebten Handwerkszeug vieler Pressefotografen wurde die Kleinbildkamera Leica, die dem Rollfilm 24 × 36 mm zum Durchbruch verhalf. Das Genre der Bildreportage als eigenständige Form entwickelte sich, der Text trat in den Hintergrund, früh wusste man: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.
Dass mit Fotografien allerdings auch Schindluder getrieben werden kann, und sich das Medium zur propagandistischen Zwecken eignet, wird spätestens bei Fotos aus dem »Dritten Reich« deutlich. Onkel Adolf als Menschenfreund, Goebbels beim Spiel mit der Modelleisenbahn, zufriedene Soldaten in Schützengräben aber auch offener Antisemitismus bestimmten die Motive. Inszenierte Fotos aus Konzentrationslagern und Gefängnissen verharmlosten die tatsächlichen Haftbedingungen und sollten die »Gräuelpropaganda« aus dem Ausland widerlegen. Fotos vom Kriegsgeschehen wurden teilweise retuschiert, um die Größe und Kampfstärke der deutschen Wehrmacht zu suggerieren.
Die liebevoll aufbereitete Ausstellung »Die Erfindung der Pressefotografie« im Deutschen Historischen Museum spiegelt in der Auswahl wie auch in der Gestaltung die Geschichte der Pressefotografie. Doch genau an diesem Punkt entstehen beim kritischen Betrachter Bauchschmerzen. Die Exponate zeigen nämlich ausschließlich Werke der bürgerlichen Fotografie, einer angepasst-staatstragenden, quasi den Zeitläufen unterworfenen dokumentarischen Abbildung vermeintlich objektiver Wirklichkeit.
Die gerade in Deutschland hochentwickelte Arbeiterfotografie und ihr bekanntestes Medium, die »Arbeiter Illustrierte Zeitung« (AIZ), zeigen hingegen ein ganz anderes Bild der Wirklichkeit. Auf deren Fotos geht es ohne Glanz und Glamour um die Nöte der Bevölkerung, um den Widerstand gegen Krieg und Unterdrückung und um das Bemühen, Fotografie als Aufklärungsinstrument zu nutzen. Derartige Fotos fehlen vollständig in der Ausstellung, und auch der wohl berühmteste Fotokünstler und Erfinder der Fotocollage, John Heartfield, wird mit keiner Zeile erwähnt!
Es erscheint unwahrscheinlich, dass es unter den Millionen Fotos der Sammlung Ullstein keine entsprechenden Belege gibt. Für ein Museum, das die deutsche Geschichte in ihrer Gesamtheit abbilden möchte, ist dieser Mangel ein Fauxpas. Unabhängig davon ist die Schau sehenswert für jeden, der sich mit dem Thema Pressefotografie beschäftigen möchte.
Die Erfindung der Pressefotografie. Aus der Sammlung Ullstein 1894-1945
Deutsches Historisches Museum Berlin. 23. Juni – 31. Oktober 2017