Am Dresdener Theaterplatz, wo gern die Pegida krakeelt, setzt die Semper-Oper mit der zeitgenössischen Produktion »Die Passagierin« ein deutliches Zeichen gegen den Naziterror.
Lisa befindet sich mit ihrem Ehemann Walter, einem künftigen Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, auf einer Seereise zu seinem zukünftigen Wirkungsort in Südamerika. An Bord trifft sie auf eine Passagierin, die sie für lange tot hält. Wie glühende Lava quillt verdrängte Vergangenheit ans Tageslicht.
Die Passagierin: Erster Akt
Furioser Paukenschlag deutet gleich in den ersten Takten des Zweiakters »Die Passagierin« an, dass es hochdramatisch wird. Es begegnet die frisch vermählte Gattin eines künftigen Botschafters der BRD an Bord eines Überseedampfers einer tot geglaubten Frau aus der Vergangenheit. In der geheimnisvollen Dame erkennt sie eine KZ-Insassin, die von ihr einst in den Tod geschickt wurde und diesem dennoch entkam. Längst verdrängte Zeiten werden wieder zum Leben erweckt.
Lisa bricht angesichts der einstigen KZ-Insassin zusammen und gesteht ihrem Mann ihren früheren Einsatz für die SS als Aufseherin im Lager Auschwitz. Walter fühlt sich von seiner Gattin hintergangen und fürchtet vor allem um seine berufliche Zukunft, sollte die Wahrheit ans Licht kommen. Lisa jedoch beteuert, der Engel der Inhaftierten gewesen zu sein und nur Gutes getan zu haben. Darauf lenkt ihr Mann ein: »Jeder hat das Recht, den Krieg zu vergessen«. Und er zeigt, wie gut er das offizielle Verdrängen der verübten Nazi-Verbrechen selbst verinnerlicht hat: »Wir Deutschen quälen uns selbst gern mit Zweifeln, mit Schreckensphantasien und nebligen Geheimnissen. Sentimental sind wir. Doch diese Eigenschaft macht uns reiner.«
In Rückblenden auf die tödliche Wirklichkeit des Konzentrationslagers wird nun die tatsächliche Geschichte des Häftlings und ihres grausamen Schicksals erzählt. Aufseherin Lisa versucht Marta, eine Insassin des Lagers Ausschwitz, als Vertraute auf ihre Seite zu ziehen, um sich die Arbeit mit den Gefangenen zu erleichtern. Während SS-Offiziere jammern, welche Mühe es ihnen mache, jeden Tag zehn- bis zwanzigtausend Leichen zu beseitigen, schlagen Aufseherinnen eine Gefangene brutal zusammen. Bei ihr wird ein Zettel in polnischer Sprache mit einer geheimen Botschaft aus dem Widerstand entdeckt. Lisa zwingt Martha, den Kassiber zu übersetzen. Diese tut so, als handele es sich um einen Liebesbrief. Später erfährt Lisa vom wahren Inhalt der Botschaft, fühlt sich betrogen und beginnt, Martha zu hassen.
Die Passagierin: Zweiter Akt
Aufseherin Lisa verwaltet die Musikinstrumente, die den Insassen des KZ Auschwitz abgenommen wurden. Die beste Geige soll gefunden werden, um dem Kommandanten dessen Lieblingswalzer vorzuspielen. Der als Musiker auserkorene Häftling, der die Violine abholen soll, entpuppt sich als Marthas Verlobter Tadeusz. Die beiden fallen sich ob des völlig unerwarteten Wiedersehens glücklich in die Arme, werden dabei jedoch von Lisa erwischt.
Als Lisa dem Musiker die Möglichkeit eines weiteren Wiedersehens mit Martha anbietet, lehnt Tadeusz ab. Er will Martha keine Schwierigkeiten bereiten und sich nicht von der SS-Schergin abhängig machen. Dies erbost die Aufseherin derart, dass sie Martha als »letztes Geschenk« zwingt, dem Konzert des totgeweihten Geliebten zuzuhören. Der Geiger spielt dabei allerdings nicht den befohlenen Walzer, sondern Johann Sebastian Bachs Chaconne aus der Partita d-Moll, bevor er von der wutentbrannten SS erschossen wird. Anschließend schickt die KZ-Aufseherin Martha »in den Block, – du weißt, was ich meine«. Dieser Block wird in der Oper auch als »schwarze Wand« besungen, von der es keine Rückkehr gibt. Martas Mitgefangene schwören, dass sie nie vergessen und vergeben werden.
Das Schicksal war ausnahmsweise gnädig: Marta ist es gelungen, der Mordmaschine der SS zu entkommen und befindet sich mit ihrer einstigen Schinderin an Bord des Dampfers. Lisa versucht auf Walters Rat, sie zu ignorieren, wirft sich in ihr schönstes Kleid und geht mit ihrem Angetrauten zum Tanztee. Wie ein Geist erscheint dort auch die Passagierin und überreicht der Kapelle einen Zettel mit einem Musikwunsch.
Zum Entsetzen Lisas spielt die Band den Lieblingswalzer des KZ-Kommandanten …
Die Oper »Die Passagierin«
Die Vorlage zu dem Psychodrama »Die Passagierin« stammt von der Polin Zofia Posmysz. Die inzwischen 94-jährige Auschwitz-Überlebende war bei der Premiere in Dresden am 24.06.2017 anwesend und hatte sich zuvor in einer Veranstaltung zum Stück geäußert. Posmysz verfasste die Geschichte ursprünglich als Hörspiel. Ihre Geschichte fällt in russischer Übersetzung dem sowjetischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch in die Hände. Der bittet seinen Kollegen Mieczyslaw Weinberg, die Oper zu schreiben. Weinberg vollendet die Arbeit 1968. Nach einer konzertanten Uraufführung in Moskau 2006 erfolgte die szenische Uraufführung am 21. Juli 2010 im Rahmen der Bregenzer Festspiele, die Weinberg nicht mehr erlebte.
Die Musik der »Passagierin«
Der Leipziger Kapellmeister Christoph Gedschold führt die Staatskapelle sicher durch das Geschehen und schafft es, die feinen Nuancen der Komposition herauszuarbeiten. Komponist Weinberg mischt mit einer hörbaren Vorliebe für Quinten und Quarten Elemente der Zwölftonmusik mit Volksliedern. Seine Musik ist suggestiv und steigert sich zum Widerstand gegen die SS-Offiziere und ihre makabren Sprüche bis zur Kakophonie. Für Marta stehen das Engelsinstrument Celesta, Flöte und Geige. Schlagwerker beschreiben mit Marimba, Vibraphon und Xylophon die Situation der Häftlinge im Lager. Blechbläser trompeten die Tötungsbefehle der Wachmannschaft.
Weinberg verwendet in seiner Oper polnische, deutsche, englische und hebräische Sprache. Die polnische Sopranistin Barbara Dobrzanska verkörpert die KZ-Insassin Marta. Sie singt sowohl die polnischen wie auch die russischen Partien. Ihre in Arienform vorgetragenen Freiheitsgedanken machen sie sympathisch, wobei ihre Darstellung dazu beiträgt, dem Zuschauer immer wieder Schauer des Grauens über die auf der Bühne geschilderte Grausamkeit über den Rücken laufen zu lassen.
Mezzosopranistin Christina Bock als Lisa versteht es ausgezeichnet, die Brüchigkeit der Gedankenwelt einer pflichtversessenen Deutschen herauszuarbeiten. Lisa erlebt die Rückblende in ihre eigene Vergangenheit als bösen Traum, der sie immer wieder zweifeln lässt, ob ihre eigene Wahrheit vom »menschlichen« KZ-Aufseher Bestand hat.
Die Inszenierung der »Passagierin«
Das Bühnenbild von Katja Haß besteht aus einem gewaltigen Schiffsrumpf, der auf einer Drehbühne bewegt wird. Die verschiedenen zeitlichen Ebenen, also der kurz bevorstehende Untergang des Tausendjährigen Reiches und seine letzten brutalen Zuckungen im Lager Ausschwitz und die vermeintliche Leichtigkeit der Seereise Jahre später können damit ausgezeichnet ausgeleuchtet (Licht: Olaf Winter) werden. Außerhalb des Rumpfes treffen sich Walter und Lisa sowie Crew und Passagiere des Dampfers, im Inneren spielen die KZ-Szenen. Im letzten Bild verschwimmt die Tanzgesellschaft mit den Häftlingen und löst sich auf.
Die aktuelle Inszenierung der Semperoper unter der Regie von Anselm Weber, dem neuen Chef des Frankfurter Schauspielhauses, ist eine Übernahme einer Produktion der Oper Frankfurt. Das Stück passt gut zu Dresden, waren die Produktionen in den letzten Jahren doch allzu stark an den Interessen der vielen tausend Touristen von Elbflorenz ausgerichtet.
Gerade in einer Zeit, in der wieder brauner Mob vor den Türen des Musiktheaters tobt, geht es darum, Flagge zu zeigen. Die Semperoper setzt mit »Die Passagierin« ein deutliches Signal für ein »Niemals wieder!«.