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»Die Kuh im Propeller« ist eine satirische Erzählung von Michail Soschtschenko aus dem Jahre 1923. Sie war Kult in der versunkenen DDR. Prinz Rupi holt den herrlichen Text wieder aus der Versenkung hervor und präsentiert ihn im Video.
Ritsch, ratsch! Weg war sie.
Von Prinz Rupi
Michail Michailowitsch Soschtschenko (28.07.1894-22.07.1958) war ein bekannter russischer Satiriker. Eine erste Sammlung seiner Erzählungen erschien 1922 unter dem Titel »Erzählungen des Nasar Iljitsch Blaubauch«. Durch einen dummdreisten Ich-Erzähler strahlt der Text eine Tragikomik aus, die bei Publikum und Kritik gut ankam.
Der neue Heldentypus des wenig von Geistesgaben belasteten Sowjetmenschen, der sich durch den Alltag kämpft, fand sich auch in den weiteren Erzählungen Soschtschenkos. Seine Erzählung »Die Kuh im Propeller« arbeitet mit diesem Motiv.
Der in einer Flugschule als Wächter arbeitende Grigori Kossonossow fährt im Urlaub in sein Heimatdorf und will als Agitator die Bauern seines Dorfes von der Bedeutung des Flugwesens überzeugen und Geld für ein neues Flugzeug sammeln. Der Vorsitzende des Dorfsowjets gibt ihm dazu bereitwillig die Erlaubnis und beruft eine Versammlung der Bauern ein: »Agitiert nur, agitiert nur!«
Prinz Rupi rezitiert »Die Kuh im Propeller«
Kossonossow beginnt weitschweifig mit der allgemeinen Politik, wird jedoch bald durch Zwischenrufe aus dem Konzept gebracht. Darauf bittet ihn der Vorsitzende, sich etwas einfacher auszudrücken, um »die Masse« zu erreichen. Nun erzählt Kossonossow Anekdoten zu Unfällen in der Flugschule, unter anderem von einer Kuh, die in einen Flugzeugpropeller geriet und zerfetzt wurde: »Ritsch, ratsch, weg war sie!«
Auf erschrockene Rückfragen der Zuhörer, ob das auch mit Pferden passiere, antwortet der Redner im Brustton der Überzeugung: »Auch Pferde!« Die Geschichte endet damit, dass sich die Bauern finster zurückziehen und Kossonossow ohne Geld in die Fliegerschule zurückkehrt. Er urteilt, die Bauern seines Dorfes hätten sich doch noch als »ein zu ungebildetes Volk« erwiesen, um sich für das Flugwesen zu begeistern.
Autor der »Kuh im Propeller« fiel in Ungnade
Michail Soschtschenko zählte zu den meistgelesenen Autoren der UdSSR. Seine Erzählsammlungen und Werke wurden in zahlreichen Zeitschriften, Zeitungen und Verlagen in hohen Auflagen herausgegeben. Noch während des Zweiten Weltkrieges kehrte er ins belagerte Leningrad zurück und nahm seine schriftstellerische Tätigkeit wieder auf.
Durch seine Veröffentlichungen geriet er jedoch unerwartet ins Kreuzfeuer der staatlichen Kritik. Der Leningrader Parteisekretär Andej Schdanow, ein Vertrauter Stalins und berüchtigter »Kultursäuberer« bezeichnete den Prosatext als »ekelhaftes Werk«. Soschtschenko durfte nicht mehr gedruckt werden, selbst seine Herausgeber distanzierten sich von ihm. Es folgte der Ausschluss aus sämtlichen Stellungen und schließlich auch aus dem Schriftstellerverband im Jahre 1946.
Erst nach Stalins Tod im Jahre 1953 wurde Michail Soschtschenko rehabilitiert und wieder in den Schriftstellerverband aufgenommen. Zwei Jahre vor seinem Tod im Jahre 1958 konnte ein Auswahlband seiner Werke erscheinen.
Ska als Stilmittel der »Kuh im Propeller«
Als Stilmittel verwendete Soschtschenko bei seinem Text »Die Kuh im Propeller« eine pseudomündliche Erzählweise in umgangssprachlichem Duktus, den sogenannten »Ska«. Schon Gogol hatte sich als Meister des Skas erwiesen und fand damit ebenfalls fiel Anklang bei der Leserschaft.
Ein Ska (von russisch сказать = sagen) bezeichnet eine von der Person des Erzählers geführte Erzählung. Diese arbeitet gern mit Nichtwissen, Vermutungen und Spekulationen über die Handlung.
Rezeption der »Kuh im Propeller« in der DDR
Am 31. Oktober 1965 trug Schauspieler und Sänger Manfred Krug (08.02.1937-21.10.2016) den Text im Rahmen der Reihe »Lyrik – Jazz – Prosa« in der Kongresshalle am Berliner Alexanderplatz vor. Davon wurde auch ein Mitschnitt als Schallplatte vertrieben, die bald als Geheimtipp galt.
Spöttische Zitate wie »Agitiert nur, agitiert nur!« oder das bildhafte Ende der Kuh im Propeller: »Ritsch, ratsch, weg war sie!« gingen in den allgemeinen Wortschatz über und wurden zu geflügelten Worten.
Manfred Krug spricht »Die Kuh im Propeller«
Die Kuh im Propeller. Der Text
Grigori Kossonossow, der Wächter der Fliegerschule fuhr auf Urlaub in sein Heimatdorf.
»Nun, was ist, Genosse Kossonossow«, sagten die Kollegen beim Abschied: »Da ihr schon hinfahrt, könnt ihr vielleicht ein bisschen agitieren dort im Dorf. Sagt den Bäuerlein so und so, das Flugwesen entwickelt sich bei uns, vielleicht tragen sie etwas Geld zusammen für ein neues Flugzeug!«
»Da könnt ihr versichert sein«, antwortete Grigori Kossonossow, »wär was anderes, wenn es nicht ums Flugwesen ginge, aber darüber, seid unbesorgt, werd‘ ich schon was richtiges sagen!«
Kossonossow kam nach Hause und begab sich gleich am Tag seiner Ankunft zum Dorfsowjet. »Also«, sagte er, »ich will hier ein bisschen agitieren! Kann man nicht eine Versammlung einberufen?«
»Nun, warum nicht?« antwortete der Vorsitzende: »Agitiert nur, agitiert nur!«
Am anderen Tag rief der Sowjet die Bauern beim Feuerwehrschuppen zusammen. Grigori Kossonossow trat vor sie hin und begann: »Also, so ist das, das Flugwesen, Genossen Bauern! Da ihr ein, naja, na Gott naja ungebildetes Volk seid, werde ich euch etwas von der Politik erzählen. Hier, sagen wir mal, ist Deutschland und dort ist Frankreich. Hier Russland und da – naja, überhaupt …
»Wovon redest du eigentlich, Väterchen?« fragten die Bauern.
»Worüber?« erklärte Kossonossow empört: »Über das Flugwesen natürlich! Blüht halt sehr auf das Flugwesen! Hier ist also Russland und da China.«
Die Bauern hörten finster zu.
»Halt dich nicht auf!« rief jemand von hinten: »Red‘ weiter!«
»Ich halt mich ja gar nicht auf«, sagte Kossonossow eingeschüchtert: »Ich red‘ ja über das Flugwesen. Es entwickelt sich bei uns, Genossen Bauern, nichts dagegen zu sagen, was wahr ist, ist wahr!«
»Hm, etwas unverständlich«, rief der Vorsitzende: »Sie, Genosse, müssen etwas volkstümlicher sprechen, damit sie die Masse auch versteht!«
Kossonossow trat näher an den Haufen der Bauern heran, setzte verlegen das eine Bein vor und begann von neuem. »Also, Genossen Bauern – man baut Flugzeuge bei uns. Und nachher – ssst – fliegt man! In der Luft sozusagen! Nun, mancher natürlich hält sich oben nicht gut, bums, saust er runter wie der Fliegergenosse Jeremilkin, rauffliegen tat er ganz gut und dann bums, krach, ein nasser Fleck blieb übrig!«
»Ist doch kein Vogel schließlich«, sagten weise die Bauern.
»Eben, das sag‘ ich auch!« sagte Kossonossow, erfreut über die Anteilnahme: »Natürlich kein Vogel! Ein Vogel, wenn der herunterfällt, nun ja, er schüttelt sich und los weiter. Anders beim Menschen. War da noch so ein anderer Flieger. Der fiel auf einen Baum und hing da wie ein Äpfelchen. Hat sich natürlich erschreckt, der Arme, es war zum kranklachen! Ja, ja, verschiedenes passiert so! Da ist einmal eine Kuh in den Propeller gekommen! Ritsch, ratsch weg war sie! Auch Hunde!«
»Und Pferde?« fragten ängstlich die Bauern: »Auch Pferde, Väterchen?«
»Auch Pferde!« sagte stolz im Brustton der Überzeugung der Redner. »Das kommt oft vor!«
»Ach, diese Kannallien, hol sie der Teufel!« sagte jemand. »Was sie sich jetzt alles ausdenken. Pferde zu Tode quälen … Nun Väterchen – und das entwickelt sich jetzt, ja?«
»Eben, das sag ich ja! Es entwickelt sich, Genossen Bauern! Und darum, meine ich, sammelt die ganze Bauernschaft etwas Geld.«
»Wofür denn bloß?« fragten neugierig die Bauern.
»Für ein Flugzeug natürlich!« sagte der Redner.
Die Bauern lächelten sehr finster und gingen langsam auseinander. Geld für ein neues Flugzeug brachte Kossonossow, als er von seinem Urlaub zurückkam, nicht mit. Die Bauern seines Heimatdorfes waren eben noch ein zu ungebildetes Volk.
Ich lache mich fast zu Tode. Das brauche ich gerade in dieser verrückten Zeit.
Der Rückblick zeigt, auch damals ging es verrückt zu.
Das freut mich, liebe Christine!
Jede Zeit hat wohl ihre Verrücktheiten und Widersprüche.
Wir »Verrückten« haben die schöne Möglichkeit, mit unserer Kunst darauf hinzuweisen und laut darüber zu lachen.