In einer apokalyptischen Inszenierung verwandelt Philipp Stölzl den »Freischütz« von Carl Maria von Weber auf der Bregenzer Seebühne in eine packende Gruselgeschichte. Mit einem Augenzwinkern gelingt es dem Regisseur, aus einem alten Stoff eine kluge und farbenfrohe Vorstellung zu schaffen, die das Publikum in ihren Bann zieht.
Stell dir vor, du befindest dich im tiefen, dunklen deutschen Wald, wo die Bäume flüstern und die Tiere mehr wissen, als sie zugeben. Die Geschichte vom »Freischütz« dreht sich um Max, einen intellektuellen Schreiberling, der bei einem Schießwettbewerb gewinnen muss, um seine Liebste Agathe, die Tochter des Erbförsters Kuno, heiraten zu dürfen. In diesem Dorf ist es seit Jahrhunderten Tradition, dass nur der beste Schütze die Försterei und damit das Försterstöchterlein erbt.
Max hat jedoch ein Problem: Er ist ein schlechter Schütze und damit ein denkbar ungeeigneter Förster. Ein Konkurrent, der bereits ein Auge auf Agathe geworfen hat, schießt hingegen hervorragend. Kaspar, ein düsterer Bekannter von Max, bietet ihm eine Lösung an: magische Freikugeln, die stets ihr Ziel treffen. Der Haken daran ist ein Pakt mit dem Teufel.
In der berüchtigten Wolfsschlucht treffen sich Max und Kaspar um Mitternacht mit dem Dämon Samiel, um die magischen Kugeln zu gießen. Wölfe heulen, Donner grollt, und schattenhafte Gestalten steigen aus dem Morast auf und verbreiten eine gespenstische Stimmung. Max ist unwohl, aber in seiner Verzweiflung nimmt er die sieben Freikugeln an, die jedes Ziel sicher treffen.
Mit diesen Kugeln gewinnt Max tatsächlich den Wettbewerb, doch die letzte Kugel gehört dem Teufel und trifft das Ziel, das Satan bestimmt. Am großen Tag trifft diese Kugel Agathe! Die Dorfbewohner sind geschockt und halten sie für tot. Doch dank ihres Glaubens, göttlicher Intervention und der Fantasie des Librettisten überlebt sie, und der teuflische Plan scheitert.
Ende gut, alles gut? Kaspar stirbt, weil man keine Deals mit dem Teufel machen sollte. Max wird vom Fürsten verstoßen, doch ein heiliger Mann, ein Eremit, vergibt ihm und schafft zugleich das Ritual der Schützenbruderschaft ab. Max und Agathe können endlich zusammen sein. Die Moral der Geschichte? Sei vorsichtig, mit wem du dich einlässt, besonders wenn es um übernatürliche Kräfte geht.
Der Komponist des »Freischütz«
Carl Maria von Weber (1786-1826) war ein Pionier der deutschen Romantik und schuf zahlreiche Werke. »Der Freischütz« ist seine bekannteste Oper. Weber hatte ein großes Gespür für das Dramatische und wusste, wie man Musik einsetzt, um eine Geschichte lebendig werden zu lassen. Seine Opern »Rübezahl«, »Oberon« und »Das Waldmädchen« zeigen seine Vorliebe für Themen aus der Natur und Märchenwelt.
Weber brachte frischen Wind in die Opernwelt. Vor »Der Freischütz« waren viele Opern in Deutschland stark von der italienischen und französischen Tradition beeinflusst. Weber wollte etwas Eigenes schaffen – etwas, das die deutsche Kultur und Natur widerspiegelt.
Die Musik von »Der Freischütz«
»Der Freischütz« enthält zahlreiche einzigartige musikalische Elemente, die die Oper außergewöhnlich machen. Schon die Ouvertüre ist ein echtes Highlight. Sie erzählt die Geschichte, fasst die Hauptthemen der Oper zusammen und bereitet das Publikum auf die bevorstehende Handlung vor.
Die Oper enthält bekannte Jagdlieder, die zu Hits der Opernwelt wurden. Der Komponist integrierte deutsche Volkslieder in seine Musik und verlieh seiner Oper damit einen authentischen, ländlichen Charme. Berühmt ist beispielsweise der Jägerchor »Was gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügen«.
Weber nutzte die Technik der Leitmotive, kurze musikalische Themen, die bestimmte Charaktere oder Ideen repräsentieren. Diese Technik wurde später von Komponisten wie Richard Wagner perfektioniert. Weber setzte verschiedene Instrumente gezielt ein, um die Stimmung der Szene zu unterstreichen.
Die Wolfsschluchtszene ist ein perfektes Beispiel: Dunkle Bässe und schaurige Klänge schaffen eine unheimliche Atmosphäre. Sie ist eine der dramatischsten Szenen in der Operngeschichte. Dirigent Enrique Mazzola, der bereits bei der Produktion von Verdis »Rigoletto« mit Stölzl zusammengearbeitet hat, schafft mit den Wiener Symphonikern eine Musik voller Spannung und Dunkelheit und damit die unheimliche Atmosphäre, in der die Freikugeln gegossen werden. Der Zuschauer kann Max‘ Entsetzen nachvollziehen, wenn er die Szenerie besingt: »Das Auge wähnt, in einen Höllenpfuhl zu schauen! – Wie dort sich Wetterwolken ballen. Der Mond verliert von seinem Schein! Gespenst’ge Nebelbilder wallen, belebt ist das Gestein!«
Inszenierung in Bregenz
Bereits zu seiner Zeit war »Der Freischütz« ein Riesenerfolg, der neue Maßstäbe für die deutsche Oper setzte. Weber zeigte, dass es möglich war, eine Oper zu schreiben, die sowohl musikalisch anspruchsvoll als auch tief in der deutschen Kultur verwurzelt ist.
Die Neuinszenierung von Carl Maria von Webers Oper bei den Bregenzer Festspielen 2024 wurde von Philipp Stölzl geleitet. Stölzl trat zuletzt mit »Rigoletto« in Bregenz spektakulär in Erscheinung. Das damalige Bühnenbild mit einem riesigen Clown, der einen Luftballon in der Hand hielt, setzte Maßstäbe für einen ganzheitlichen Ansatz von Bühnenbild, Technik, Licht und Akrobatik.
Stölzls Bühnenbild für den »Freischütz« zeigt ein unwirtliches, in Morast und Schlamm versinkendes Dorf kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg. In windschiefen, maroden Häuschen lebt eine Dorfbevölkerung, die eng an Glaubenstraditionen festhält, der Obrigkeit ergeben folgt und die Macht der Kirche, repräsentiert durch einen Eremiten, als höchste Instanz anerkennt.
Der eigentliche Clou der Inszenierung besteht jedoch in den neu geschaffenen Dialogen von Jan Dvořák, die hauptsächlich vom Teufel Samiel (Moritz von Treuenfels) vorgetragen werden. Dieser fungiert als eine Art Conférencier und ist letztlich der große Gewinner, wenn der Eremit sein Gewand fallen lässt und zum Teufel wird. Mit Augenzwinkern lockert Stölzl das steife und rituelle Geschehen um Glaube und Moral auf: Agathe ist bereits von Max schwanger, den sie wegen seines Andersseins liebt, und ihre beste Freundin Ännchen möchte sie überreden, mit ihr zu fliehen, weil sie mehr als Zuneigung verspürt.
Bregenz liefert mit dem »Freischütz« großes Opern-Kino und zeigt, dass es möglich ist, klassische Stoffe mit verstaubter Moral zeitgemäß zu übersetzen und allen Sinnen zugänglich zu machen.
© Prinz Rupi 2024
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Ach fänd‘ ich Einen, der mich dorthin entführt. Muss fantastisch sein, das Opernspektakel in der Natur! Danke für den Tip … die Bahnwärterin♀️