»Der Panther« – DAS Gedicht zu Corona
Seit Monaten steckt ein Virus mit dem futuristischen Namen SARS-CoV-2 Millionen Menschen in ein Gefängnis sozialer Abgeschiedenheit. Vor allem bei älteren Menschen verstärkt der Hausarrest Gefühle von Alleinsein, Einsamkeit und Niedergeschlagenheit. Die heimische Wohnung wird manchem zur Kerkerzelle, deren Maße lediglich Ausflüge vom Sofa zum Schlafzimmer und von der Küche zum Bad gestatten. Als besten literarischen Beitrag zu diesem Thema habe ich das Gedicht »Der Panther« von Rainer Maria Rilke aufgezeichnet.
Ein Denkmal für die eingesperrte Kreatur
Ob der Vogel im Bauer, der Hund im Zwinger, der Delphin im Freizeitpark, das Wildtier im Zoo – alle gefangenen Lebewesen mögen sich ähnlich fühlen, so sie denn nicht bereits in der Gefangenschaft aufwuchsen. Werden wilde Tiere gefangen und zur Befriedigung der Schaulust eingesperrt oder zu medizinischen Forschungszwecken missbraucht, dann ist es oft nur eine Frage kurzer Zeit, bis diesen Lebewesen der Wille bricht und sie in ihrem Los eingehen wie vertrocknende Primeln.
Als der in Deutsch und Französisch schreibende Österreicher Rainer Maria Rilke 1902 in der Pariser Gartenanlage Jardin des Plantes erstmals einem gefangenen Panther gegenüberstand, war er fasziniert von der Persönlichkeit des Tieres. Der sensible Dichter verbrachte Stunden vor dem Käfig mit den dicken Eisenstangen, in der das rabenschwarze Tier ruhelos und gelegentlich verzweifelt brüllend seine Bahnen zog.
Rilke las in den Augen der großen Katze und setzte ihr mit nur zwölf Zeilen ein Denkmal, wie es feinsinniger kaum geht. Er schuf das Gedicht »Der Panther«, ein Dinggedicht, das die Welt aus der Perspektive des gefangenen Tieres beschreibt und als Stern des literarischen Symbolismus gilt.
Der Panther
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf — Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille —
und hört im Herzen auf zu sein.
Prinz Rupi spricht »Der Panther«
Meine Interpretation des Gedichts versucht, Rilkes Zeilen im Sinngehalt zu verstärken. Der kurze Text ist im Zeichen der Corona-bedingten Abschottung des Individuums durch Ausgehverbot und Maskenpflicht brandaktuell. SARS-CoV-2 zwingt die Menschen in ein Gefängnis sozialer Abgeschiedenheit.
Interpretation von »Der Panther«
Rainer Maria Rilke beschreibt den gefangenen Panther in drei Strophen von seiner äußeren Erscheinung (Blick, Gang, Auge) und erschließt damit das Innere des schnellen Jägers.
Die erste Strophe schildert den Entzug der Freiheit in schleppendem Rhythmus. Der Panther hat keine Verbindung mehr zu seiner gewohnten Außenwelt. Er befindet sich bereits in einem eigenen Kosmos.
Die zweite Strophe zeigt die innere Gefangenschaft des Panthers. Der schnelle Jäger hat seine natürliche Wesensart verloren. Er ist dem Hospitalismus erlegen. Dies zeigt sich an dem Zwang des Vierbeiners, immer im Kreis zu gehen und so seinen Kosmos mit Schritten auszufüllen.
Die dritte Strophe bestätigt die äußere und innere Gefangenschaft des Panthers. Dann wird ein Moment beschrieben, in dem die kreisenden Schritte des Panthers plötzlich aufhören. Ein Bild von der äußeren Welt gelangt durch seine Augen direkt in sein Herz. Mit einem letzten Satz versucht der Dichter, das Erlöschen des äußeren Sinneseindrucks im Herzen des Panthers abzubilden.
Otto Sander spricht »Der Panther«
Zu meinen Lieblingsinterpreten zählt der an Krebs und Alkohol 2013 verstorbene Schauspieler, Hörbuchsprecher und Erzähler Otto Sander. Im Rahmen des Rilke-Projekts entstand zur Jahrtausendwende eine faszinierende Aufnahme von »Der Panther«. Dabei wurde Sanders Stimme mit Musik von Richard Schönherz & Angelica Fleer unterlegt wurde.
Udo Lindenberg singt »Der Panther«
Rockmusiker Udo Lindenberg hat Rilkes Gedicht »Der Panther« zu einem gefühlvollen Song umgearbeitet
Julia Nüsch illustriert »Der Panther«
Die Hamburger Illustratorin Julia Nüsch hat das Gedicht in einem bei Kindermann erschienenen Bilderbuch liebevoll und einfühlsam illustriert. In einem Trailer zum Buch spricht Fabian Oskar Wien den Rilke-Text.
Ja, Rilkes Panther passt sehr gut zu der jetzigen Zeit der Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote … Danke für die vier Präsentationen via YouTube insbesondere auch deine Vortragsweise.
Ja, der Rilke, ausdrucksstark und treffend.
Wenn man tiefer blickt, kann man eine Verbindung zum Menschen erkennen, der auch auf dem kleinen Planeten als Zuchtmeister den Kommunismus und Kapitalismus hat, die im Weltengeschehen nur Tod und Zerstörung hinterlässt. Nur ab und zu Blitzt es in der Geschichte der Menschheit auf, der Gedanke der Renaissance, der uns nach vorne gebracht hat und eine gewisse Einigkeit in der Entwicklung gebracht hat. Die Welt wird nie wieder so sein wie sie war und der Veränderter heisst Corona. Ein gewagter Gedanke, aber er ist nicht das Ende.
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