Die Audio-only-App Clubhouse ist »der neue heiße Scheiß« auf dem Markt der Social-Media-Apps. Rund sechs Millionen User sprangen bis März 2021 weltweit auf die Gratis-App an, darunter etwa 200.000 deutschsprachige Nutzer. Was ist das Faszinierende an Clubhouse und worin liegen die Gefahren?
Ein Bericht von Prinz Rupi
Bei Clubhouse handelt es sich um eine kostenlose App, mittels derer man anderen zuhören, sich selbst in Diskussionen und Gespräche einbringen und eigene Räume veranstalten kann. Die Bedienung ist einfach, der Zugang indes schwer. Einstiegshürden befördern den Hype, und so reden inzwischen alle von Clubhouse. Ich schweife seit Jahresbeginn mit offenen Ohren auf der neuen Plattform umher und teile gern meine Erfahrungen.
Clubhouse anfangs nur für iPhone
Die Möglichkeit, Clubhouse zu besuchen, war anfangs auf ausgewählte Nutzer eines iPhones beschränkt. Apples Mobilgeräte halten etwa 18,9 Prozent des Marktanteiles aller 58 Millionen Smartphones in Deutschland. Davon wiederum sind nur rund zwei Prozent auf Clubhouse unterwegs.
Es bedurfte einer persönlichen Einladung, um die kostenlose App nutzen zu können, die sich noch in der Betaphase befindet. Deshalb waren die handverlesenen Teilnehmer der ersten Stunde hochkarätig und interessant für jeden, der gern netzwerkt.
Die Öffnung der Clubhouse-App für Android-Nutzer erfolgte am 18. Mai 2021.
Clubhouse: Bühne für Hörer und Sprecher
Bei Clubhouse kann man ähnlich einem Weltempfänger rund um die Uhr zwischen regelmäßigen wie spontan anberaumten Sendungen in allen denkbaren Sprachen wählen und zuhören. Anders als im klassischen Radio kann sich der Zuhörer spontan zu Wort melden und seine Meinung auf der virtuellen Bühne äußern, sofern die jeweiligen Moderatoren ihn vorlassen. Das Format erinnert ein wenig an die Barcamps früherer Zeit, bei denen hochkarätige Teilnehmer kostenlos ihr Fachwissen untereinander teilten.
Diejenigen, die sich im Moderieren üben oder eigene Themen präsentieren wollen, können dies ohne zeitliche, inhaltliche oder sonstige Begrenzung tun. Es geht bei der App also ausschließlich ums Hören und Sprechen, es gibt weder schriftliche Kommentare noch Likes, Videos oder Bilder. Exakt darin gründen Faszination und Erfolgsgeheimnis von Clubhouse.
Clubhouse: Alle Macht den Moderatoren
Unter den Sprechern und Zuhörern in den übersichtlichen wie überlaufenen Clubhouse-Räumen findet sich manches von Film, Funk und Fernsehen bekannte Gesicht, dem man mit einem Klick folgen kann. Dann beginnt der eigentliche Spaß, denn alle Follower werden bei jeder Regung des Verfolgten informiert und können als Erste im Raum sein, um die Schalthebel zu besetzen. Dabei ist die Funktion des Moderators äußerst begehrt.
Diese Funktion schenkt selbst demjenigen, der lebenslang getreten wurde, die lang ersehnte Chance, ein paar Minuten über Menschen zu gebieten. Der Moderator entscheidet, wer spricht und bittet dazu ausgewählte Gäste aus dem Auditorium auf die Bühne. Der Gast hingegen hat nur die Möglichkeit, per Knopfdruck seine Hand zu heben und einen Redebeitrag einzureichen. Ob er sofort, nach einem kleinen Vorglühen, in fünf Stunden oder überhaupt nicht die Bühne betreten darf, entscheidet der Moderator.
Clubhouse: Treffpunkt der Early Adoptors
Gründer und Köpfe der Internet-Szene tummeln sich auf Clubhouse und lassen sich gern direkt ansprechen. Tesla-Chef Elon Musk tritt auf, erläutert seine Visionen und moderiert. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow räumt Unsicherheiten und Fehleinschätzungen in Sachen Corona ein. Entertainer Thomas Gottschalk versucht, seinen verglühenden Stern auf Clubhouse erneut zum Leuchten zu bringen. Ex-BILD-Chef Kai Diekmann und Springer-Vorstand Mathias Döpfner, Chefredakteure von SPIEGEL und Tagesschau diskutieren aktuelle politische Themen.
Jeden Sonntag um 18.00 Uhr MEZ sprechen die Gründer von Clubhouse, Paul Davison and Rohan Seth, in der »Townhall« über ihre Pläne. Wegen des großen Andrangs mussten mittlerweile die ursprünglich auf 5.000 Zuhörer begrenzten Raum auf 9.000 Plätze aufgestockt werden, um alle Interessenten unterbringen zu können.
Clubhouse: Unterhaltung für jeden Geschmack
Monica Schwarz, Medium aus Zürich, stellt derweil Live-Jenseitskontakte her: »Ich verbinde mich in der Meditation mit der geistigen Welt und dort mit den Heilern, den Krafttieren und den Engeln, die für die Heilung zuständig sind. Ich stelle mich dann als Kanal für die heilende Energie zur Verfügung die deine Selbstheilung aktiviert«, meint sie auf die Frage nach dem Sinn ihres Raumes.
Andrea, bekennender Clubhouse-Junkie, präsentiert sich als Kopfkino-Designerin. Ralf verliebt sich in die Stimme von Semra. Wolfgang Joop spricht über Mode. »Dada« David wechselt Identitäten samt Avatar und Kurzbiographie schneller als die Hemden und parodiert bevorzugt extreme Erscheinungen auf Clubhouse.
Clubhouse: Ideal für Autoren
In meinem Club »AutorInnen-Netzwerk« auf Clubhouse geben sich Profiautoren aus Großverlagen, Lektoren, Covergestalter, Literaturagenten ebenso wie Hobbyautoren die Klinke in die Hand. Film- und Audioleute von Major Labels sind dabei, ein Professor der Neurolinguistik beteiligt sich am Gespräch. Verleger Wolfram Alster sammelt neue Talente für seine inzwischen acht Kleinverlage. Die Lesung einer erotischen Kurzgeschichte schreibenden jungen Dame lockert die Runde auf. All das mündet in ein gleichberechtigtes kollegiales Gespräch, das so niemals stattfinden würde.
Es kommt zu Premieren: Türkan, Mutter von zwei kleinen Kindern, schreibt erotische Geschichten aus einem romantisierten Blickwinkel. Schon gibt die junge Autorin ihre erste Lesung und überzeugt mit einer megageilen Stimme. Uwe Kullnick, Intendant des Münchener Literatursenders »Radio Hörbahn«, ist auf der Bühne und lädt die junge Frau ein.
Geburtsblinde AutorInnen lesen mittels eines Braille-Gerätes online aus ihren Romanen vor und tragen ebenso fließend vor wie normalsichtige Literaten. Die Audio-App macht es möglich. Eine andere Autorin singt erstmals ein Kinderlied in turkmenischer Muttersprache, und bei der Aarauer Kommunikationsspezialistin Lakritza kann jeden Morgen um halb neun ein Satz aus einem Buch philosophisch hinterleuchtet werden.
Es ist ein bunter Mix, und jeder profitiert von jedem.
Clubhouse: Kontaktbörse mit Kuscheleffekt
Neben den öffentlich oder eingeschränkt zugänglichen virtuellen Räumen gibt es die Funktion des privaten Raums auf Clubhouse. Jeder kann theoretisch jeden, dem er folgt, über die App anpingen und in einen geschlossenen Kuschelraum bitten. Daraus können sich Bekanntschaften, Amouren, Geschäftsabschlüsse, Millionendeals oder was auch immer entwickeln. Clubhouse ist Großraum mit schier unbegrenzten Möglichkeiten.
Die direkte und unmittelbare Ansprache, die von allen Teilnehmern spürbar positiv empfunden wird, ermöglicht eine unverbindliche Kontaktaufnahme mit der Dichte und Nähe eines persönlichen Telefonats. Entsprechend schnell öffnen sich die Teilnehmer wie Blumen im Licht. Bisweilen entsteht die Vertraulichkeit eines Beichtstuhls, so dicht und drängend sind manche Schicksale, die sich darstellen.
Clubhouse: Tummelplatz für Scharlatane
Wie in jeder neuen Blase, die sich bildet und goldene Berge verheißt, sind auf Clubhouse auch Top-Scharlatane mit von der Partie. Jeder Zweite nennt sich Mentor, Speaker, CEO, Entrepreneur oder Influencer. Einige leben in clanähnlichen Familienstrukturen und sammeln rund um die Uhr Teilnehmer für tausende Euro teure »Gold«-Kurse. Abou-Chaker und seine Gang lassen grüßen. Maschallah!
Auf die meist selbsternannten Verkäufer von Lebensweisheiten, auf Gaukler, Jongleure und Scharlatane, hat eine vermeintliche Partybühne wie Clubhouse magnetische Anziehungskraft. Aber auch Politiker sammeln Stimmen. Ob dies Jüngelchen gelingt wie CDU-Politiker Philipp Amthor, der in dunkler Nacht schief und stoppelig das »Pommernlied« anstimmt, sei dahingestellt.
Der vorbestrafte Finanzjongleur Kim Dotcom hat immerhin schon 29.500 Follower um sich geschart. Mit Filmproduzentin Tine Wittler und »Tagesschau.de«-Redakteur Dominik Lauck steht er gemeinsam auf der Bühne und verkündet seine Sicht der Wahrheit. Eine derartige Mischung findet sich sonst nirgends.
Clubhouse: Plattform mit enormem Suchtpotential
Clubhouse ist spannend, überraschend, unterhaltsam, jedoch in höchstem Maße suchtgefährdend. Die Zeit vergeht wie im Fluge, ob man teils intimen Gesprächen lauscht oder sich aktiv an Diskussionen beteiligt. Keine Kommentare, keine Likes, keine eingeschaltete Kamera, keine Bilder, nur Stimme. Das ist unter Corona-Bedingungen die beste Idee, um dem Shutdown von Kneipen, Restaurants, Discotheken und echten Clubs zu begegnen.
Und darin gründet das Geheimnis von Clubhouse: Wir trafen uns vor dem großen Corona-Shutdown in Eisdielen, Cafés, Kneipen, Biergärten, um abzuhängen, mit netten Leuten ins Gespräch zu kommen und Partner zu finden. All das ist derzeit unmöglich.
Clubhouse überträgt erstmals diesen Gedanken 1:1 in den virtuellen Raum. Es sind mediale Räume, die sekundenschnell geschaffen und individuell ausgestaltet werden können. Besucher können bequem vom Sofa aus mitmachen, jedes Styling oder Aufbretzeln ist sinnlos, selbst das morgendliche Zähneputzen interessiert nicht mehr. Leben wird damit zur puren Kommunikation.
Clubhouse: Gezahlt wird mit Daten
Der Preis, den Clubhouse seinen Besuchern abverlangt, ist trotz aller Nützlichkeitserwägungen hoch: Das ist die Öffnung der eigenen Kontaktdatenbank als Voraussetzung, selbst Einladungen aussprechen zu dürfen. Profis legen deshalb eine Mini-Kontaktdatenbank auf einem älteren iPhone an, um bei Nutzung der App sensible Kontaktdaten zu schützen und ein Absaugen zu verhindern.
Wie geht es nun weiter mit Clubhouse?
Ob der Hype um die Social-Media-App auch nach den Einschränkungen der Pandemie anhält, ist ungewiss. Alles hängt stark von den Inhalten ab, die dort mittelfristig geboten werden. Derzeit ist Clubhouse ein funkelndes El Dorado, ein Entdeckerland, das Goldsucher wie Zaungäste lockt und fasziniert.
Ein super Artikel. Danke!
Danke. Ich habe mich gefreut, dich als Verleger auf Clubhouse zu treffen.
Lieber Rupi, was für ein toller Artikel. Es freut mich sehr, dich auf Clubhouse kennen gelernt zu haben. Und auch hier in deinen Zeilen Platz finden zu dürfen.. Du bereicherst. Danke dafür! Herzlichst, Türkan
Liebe Türkan, vielleicht steht dir eine Karriere als Autorin und Sprecherin bevor! Wer weiß?
Vieles ist möglich mit dem richtigen Netzwerk, und ich würde mich sehr für Dich freuen.
Jetzt weiß ich, warum ich ständig Meldungen bekomme, dass Du auf Clubhouse bist. Noch habe ich keine Idee, was ich da soll, außer mich wichtig zu fühlen, weil noch nicht jeder Zugang hat. Sobald alle können und noch mehr durcheinander quatschen, desto langweiliger wird es wohl werden. Aber ich lasse mich gern eines Besseren belehren, wusste früher auch nicht, was ich mit Facebook anfangen sollte.
Ich war begeistert, Dich auf Clubhouse zu entdecken, liebe Nika, und ich kann mir gut vorstellen, dass Du dort viel Spannendes entdeckst.
Stell dir vor, du hast spontan Lust, eine virtuelle Lesung zu veranstalten, eröffnest einen Raum und innerhalb weniger Minuten hast Du 60, 70 ZuhörerInnen, darunter überdurchschnittlich viele Medienleute. Herz, was willst du mehr?
Hallo Ruprecht,
gut, dass du was darüber schreibst. Das ist hilfreich, wenn man keine Zeit hat, sich das selbst anzuschauen. Bin gerade bei einem neuen Roman auf Seite 188 und … naja, du weißt, wie eingespannt man dann ist. Frage: Bringt es einem einen echten Wert, wenn man die anscheinend doch zeitaufwändigen Aktivitäten dort startet?
Beste Grüße
Fred
Mir hat es bislang mehr gebracht als Facebook und Twitter zusammen: interessante Begegnungen, neue Kontakte – vor allem crossmedial –, Einblicke in neue Ansätze und unterschiedliche Denkungarten, ungewöhnliche Darstellungsformen. Es kommt immer darauf an, was man sucht, und natürlich kostet es Zeit und Kraft.
Das erinnert mich an die Telefon-Talk-Line mit Dürener Vorwahl, welche die Telekom in den 90ern eingerichtet hatte. Es war damals der heißeste Schiss zu einer Zeit, als Internet noch holprig über 56kbit-Modems lief und Telefonie über so etwas wie Flatrate nur nachts lief. Nun ja, es diente für erotische Talks. Und es war goil.
Mist! Das habe ich damals leider verpasst.
Fehlt mir jetzt ein Zacken in meiner online-Bio?
Tja, du hattest wohl keine Einladung erhalten. Und/Oder das flasche Telefonnetzbetriebssystem gehabt. Kann ja mal passieren, nicht wahr. Jetzt ist mir der korrekte Name dieser Telefon-Talk-Line wieder eingefallen: „Dürener Telefontreff“. Er war überregional in den Zeitungen erwähnt worden, als dort in einer der Gruppen erfolgreich ein Selbstmord verhindert wurde.
Lieber Rupi, mit dir an meiner Seite ist mir in dem Club „AutorInnen-Netzwerk“ nicht bange. Weder um mich, noch um die AutorInnen. Informationen, Fakten, Trends und praktische Hinweise sind für jeden erhältlich. Besonders der Ton ist angenehm und die Menschen hören und sprechen mit guten Gefühlen während der zwei gemeinsamen Stunden miteinander. Mein Literatur Radio Hörbahn bietet Informationen an und sucht hier und anderswo immer nach Beiträgen und Sprechern. Jeder hat die Chance, etwas aus diesem Club zu machen.
Fein formuliert, lieber Uwe. Ich danke dir!
Lieber Rupi, das finde ich Klasse. Ich würde mich freuen, wenn du mich aufnähmest.
Sofort und mit Freuden, lieber Jürgen!
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