»Man muss jedem dankbar sein, der seinen Klick-Finger stillhalten kann«
Seit sieben langen Jahren residiert sie in Amazons exklusiver »Hall of Fame«. Mit 2.346 Bewertungen zu den unterschiedlichsten Produkten hat sie sich in die Herzen der Kunden geschrieben und hält seit über einem Jahr Platz 1 der Rezensenten-Topliste. Apicula, Amazons Top-Rezensent, Spitzenkraft unter Amazons rund viereinhalb Millionen Produktbewertern, verhält sich aus guten Gründen scheu wie ein Reh. Ruprecht Frieling lockte die Königin der Rezensenten zu einem ausführlichen Gespräch aus der Deckung.
Amazon Rezensent Nummer 1 im Kreuzverhör
Ruprecht Frieling: Viele Medien reißen sich darum, Dich zu interviewen. Gerade erst hast du dem WDR eine Abfuhr erteilt, weil die Kollegen mit der Kamera auffahren wollten. Du hältst dich gern bedeckt?
Apicula: Das klingt ja spektakulär, dass sich Medien um eine wie mich reißen – so schlimm ist es nicht. Faktisch sind Amazon oder Internet-Bewertungssysteme immer wieder ein Thema, und so flattert hier und da eine Anfrage ins Postfach, ob man mich befragen könnte. So habe ich nun gelernt und erfahren, dass Journalisten nicht unbedingt das schreiben, was ich sagen möchte. Zudem scheue ich die so genannte Öffentlichkeit tatsächlich.
Ruprecht Frieling: Was darf die Öffentlichkeit denn über Dich erfahren?
Apicula: Dass ich Österreicherin bin, noch immer tief verwurzelt in meiner Heimat, Kärnten, doch seit 25 Jahren in Deutschland lebe. Mein Unterkärntner Dialekt ist noch vollkommen intakt, auch wenn mir vor Weihnachten beim Einkaufen bei einem Fleischhacker ein böser Fauxpas passiert ist: Ich habe Wiener Würstchen bestellt, gemeint waren »Frankfurter«; so heißen die »Wiener« in Österreich. Vor 25 Jahren war das umgekehrt, da habe ich in der deutschen Metzgerei »Frankfurter« kaufen wollen.
Ruprecht Frieling: Das kenne ich. Als ich nach Berlin kam, wollte ich beim Fleischer zwei Frikadellen kaufen, die mich aus der Auslage anlachten. Auf die Bemerkung der Verkäuferin, derartiges hätten sie nicht im Angebot, wurde mir nach mehrmaligem Hinweis auf die Fleischklopse erklärt, es handele sich um »Bouletten«. So hat jede Region ihre sprachlichen Besonderheiten. Wenn ich nun im Lateinunterricht aufgepasst habe, dann bedeutet dein Nick »Apicula« »Bienchen«. Spielst du mit diesem Pseudonym auf den Bienenfleiß an, der notwendig war, um zur Amazon-Top-Rezensentin zu werden?
Apicula: Mein Pseudonym Apicula kam vor über zehn Jahren zustande, als ich mich bei einer anderen Bewertungsplattform als »APIS« (lat. »Die Biene«) anmelden wollte. Das kam daher, weil ich in meiner Heimat bei einem Bekannten und Bienenzüchter das KFZ-Kennzeichen APIS entdeckte. Das gefiel mir, mein Urgroßvater züchtete Bienen und seine spektakuläre Garderobe mit verschleiertem Strohhut und qualmender Pfeife sind mir eindrücklich in Erinnerung geblieben. Ich habe einen Hang zu Bienen, schließlich war sogar die Kinderserie »Biene Maja« in den 70-er Jahren noch so etwas wie Bildungsfernsehen. Mit Fleiß oder mit einer Absicht, TOP von irgendwas zu werden, hatte es rein gar nichts zu tun. Da jedoch APIS bei Amazon bereits belegt war, wurde ich das lateinische BIENCHEN, also APICULA.
Das Geheimnis des Rankings
Ruprecht Frieling: Das Amazon-Bewertungssystem wird auf allen Ebenen hinterfragt und diskutiert. Bislang hat niemand so richtig herausbekommen, wie genau man auf einen bestimmten Platz kommt. Grundsätzlich scheinen die Menge der Bewertungen, die Zahl der »Gefällt mir«-Klicks und der Prozentsatz der als »hilfreich« bewerten Rezensionen eine Rolle zu spielen. Was weißt du über die Art und Weise, wie sich das Ranking zusammensetzt bzw. aufbaut?
Apicula: Das Ranking seitens Amazon zu verstehen, ist überhaupt kein Geheimnis, wenn man es wörtlich nimmt, denn Amazon sagt sinngemäß (an irgendeiner der gut versteckten Seiten zu dieser Thematik): »Gute Rezensionen schreiben, die von vielen Kunden als nützlich empfunden werden.« – Seit Amazon vor einigen Jahren das Bewertungssystem geändert hat wird das deutlich erkennbar, indem nämlich auch Rezensenten nach vorne kommen, die mit wenigen Bewertungen viele Kundenstimmen bekommen. Das Zauberwort lautet wohl »authentische Kundenstimmen« – und das bedeutet im Umkehrschluss, dass durchaus Anstrengungen unternommen werden können, viele Stimmen zu bekommen. Doch wenn diese nicht authentisch sind, hilft das wenig. Viele Rezensionen oder ein hoher Zustimmungsquotient sind auch nicht alleine ausschlaggebend. Die Grundfrage lautet für mich eher: Will man mit seinen Bewertungen anderen helfen, oder sich einfach nur des Ranglistenplatzes wegen nach oben bringen?
Ruprecht Frieling: Deine Arbeit hat den Faktor »92 Prozent nützlich« erreicht. Aktuell haben 39.202 von 42.526 Lesern, die deine Rezensionen bewertet haben, auf »nützlich« geklickt. Wie schafft man eine derartige Zustimmung: Bleibst Du sehr allgemein, redest Du den Leuten nach dem Mund, hast Du eine bestimmte Methode? Gibt es eine Technik, einen sprachlichen Stil???
Apicula: Eine gute Vorlage! Man kann Zustimmung »schaffen«, wenn man, wie Du schon sagst, den Leuten nach dem Mund redet (bewusst oder nicht). Ich wurde erst durch Kontakte mit anderen Rezensenten vor zirka drei, vier Jahren darauf gestoßen und durch gewisse Vorwürfe bin ich hellhörig geworden und habe so langsam aber sicher einiges gelernt. Beispielsweise, dass man Texte so schreiben kann, wie Kunden sie vermutlich hören/lesen möchten, zumindest so, dass man nicht gleich jedem damit »ans Schienbein fährt«. Das »vermutlich« ist der unberechenbare Faktor an der Sache.
Ruprecht Frieling: Das Schreiben von Rezensionen, die letztlich nur darauf angelegt sind, zustimmende Klicks zu bekommen, stelle ich mir öde und langweilig vor. Außerdem gibt es immer wieder Leser, die Lobhudeleien erkennen und auch abmahnen.
Apicula: Jepp, damit geht der ganze Charme der Sache verloren. Dann kann man ja gleich für ein Test-Magazin schreiben. Das Abmahnen in Form von »Nicht-Hilfreich«-Klicks oder aufgeregten Kommentaren ist trotzdem nichts, was man partout haben möchte. Manchmal merkt man ja gar nicht, wenn man einen Fehler macht oder sich unpräzise ausdrückt. Rückäußerungen von Kunden sind in Form von Kommentaren willkommener als ein anonymes »Nicht Hilfreich«, das man eher wie ein »Dislike« auffasst.
Ist die Kommentar-Funktion hilfreich?
Ruprecht Frieling: Mich hat neulich ein Kommentator bei einer Film-Rezi sehr freundlich darauf hingewiesen, dass ich einen entscheidenden Hinweis auf den Täter übersehen hatte. Dafür habe ich mich sofort bedankt, das war mir durchgerutscht.
Apicula: Diese Kommentar-Funktion, mit der Kunden sich zu einer Rezension äußern können, finde ich super. Sie hat mir Fragen und Anregungen ebenso wie Tipps und Hinweise beschert, auf die ich alleine nie gekommen wäre. Natürlich wird man auch auf Fehler hingewiesen, kann diese korrigieren, oder bekommt eine Chance, seinen Standpunkt darzulegen, denn – ich hätte es vor Jahren nicht geahnt – selbst Bewertungen zu Kaffeevollautomaten, Woks oder Digitalkameras können polarisieren! – Lange Rede kurzer Sinn: Nachdem ich eine Phase des bewussten »tolle Rezensionen schreiben Wollens« durchgemacht habe, verging mir der Spaß und ich fand zu dem zurück, was ich derzeit mache: Nach Laune und Erfahrungswerten drauflos schreiben, kurz oder lang, strukturiert oder unstrukturiert. Gerade so wie es mir passt oder und wie ich es für richtig halte.
Ruprecht Frieling: Was ist denn im Umkehrschluss der sicherste Weg, um vom Leser abgestraft, also mit »nicht hilfreich« bewertet zu werden? Klappt das beispielweise, wenn man bei einer Film-Besprechung den Haupthelden schlecht macht? Den Ausgang einer spannenden Geschichte zu verraten (Spoiler), ist vermutlich auch eine sichere Methode, Unmut auf sich zu ziehen.
Apicula: Filmbewertungen sind ein Gräuel für mich, doch in dem Zusammenhang ein gutes Beispiel. Es gibt Kunden, die wollen in einer Filmrezension auch etwas über die Qualität der DVD oder Blu-Ray lesen oder etwas über technischen Schnickschnack erfahren, der mich überhaupt nicht interessiert. Mir ist der Filminhalt wichtig. Es ist frustrierend, wenn man mit Herzblut eine ausführliche Filmbewertung verfasst, und dann kommt jemand und fragt: »Und wie ist die Qualität der Blu-Ray?«, um dann diese wirklich respektlosen »Nicht Hilfreich«-Klicks zu verteilen. Diese Leute haben es geschafft, viele engagierte Filmrezensenten von der Plattform weg zu ekeln. *Augenroll*
Ruprecht Frieling: Hinzu kommt, dass Amazon Rezensionen zu unterschiedlichen Medien vermischt …
Apicula: Das stört mich als Kunde und als Rezensent gleichermaßen gewaltig, denn Hörbücher unterscheiden sich beispielsweise oft von der gedruckten Buchausgabe, man muss Rezensionen dazu mühsam aus einer Masse herausklamüsern. Wenn man eine Hörbuchbesprechung schreibt, also explizit über das HÖRBUCH referiert, diese Rezension dann aber mit Paperback- und E-Book-Ausgabe vermischt wird, bekommt man auch noch »Nicht Hilfreich«-Klicks von Kunden, die das nicht haben wollen, nicht kapieren oder das System nicht kennen. Bei DVD/ Blu-Ray/ Special Editions ist das bei den Filmen auch so ein Graus. Wäre schön, wenn Amazon dem mündigen Kunden zutrauen würde, sich NUR Rezensionen zu einem Hörbuch/ Hörspiel anzeigen zu lassen.
Ruprecht Frieling: Wie sieht das beispielsweise bei Haushaltsgeräten aus, da kann man schlecht spoilern, oder?
Apicula: Denkt man, ist aber nicht so. Kunden lesen Bewertungen auch noch, nachdem sie sich etwas gekauft haben, und wer liest nach einer größeren Anschaffung schon gerne, dass die geliebte Neuanschaffung »gar nicht einmal so gut ist«? Hier geht dieses Fanboy-Gehabe nicht erst bei Apple-Produkten los, das geht bei vielen teuren Artikeln so, da ist Diplomatie mit Kritik gefragt, die ich je nach Genervtheitsgrad nicht aufbringen kann oder möchte. Da boxe ich mir trotz noch so viel Routine noch immer gerne selbst ins Knie … Und natürlich gilt: Fahre niemals einem Self-Publisher in die Parade! Über dieses Thema haben wir beide uns ja in einem öffentlichen Forum kennengelernt.
Steuern Rezensenten den Konsum?
Ruprecht Frieling: Amazon schreibt über seine Top-Rezensenten: »Unsere Spitzenrezensenten haben mit ihren stets hilfreichen, hochqualitativen Rezensionen Millionen von anderen Kunden geholfen, informierte Kaufentscheidungen auf Amazon.de zu treffen. Die aktuelle Rezensenten-Rangliste präsentiert unsere derzeit besten Mitwirkenden. Die Hall of Fame ehrt hingegen diejenigen, die jedes Jahr die Spitze des Rankings erreicht haben.« – Amazon lockt mit diesem Ehrentitel natürlich auch den Ehrgeiz der Rezensenten, einen möglichst hohen Platz einzunehmen.
Apicula: Man fühlt sich damit natürlich gebauchpinselt. Erst nachdem man das vielleicht schon so lange mitbekommt wie ich, verfällt das Geehrt-Sein-Gefühl womöglich doch, denn das System ist beliebig, von hochqualitativen Rezensionen möchte ich auch in meinem Zusammenhang gewiss nicht sprechen. Es fängt schon damit an, dass jeder ein anderes Ermessen hat, wie er Bücher oder Artikel bewertet und genauso werden auch die Rezensenten untereinander kritisch beäugt. In der Toprezensenten-Liste sind aber nun einmal alle vereint.
Ruprecht Frieling: Wie fühlst Du Dich, wenn Amazon sagt, dass Du das Konsumverhalten von sehr vielen Menschen steuerst?
Apicula: Komisch im Sinne von unwohl. Mit manchen meiner Bewertungen fühle ich mich im Nachhinein gesehen nicht mehr wohl. Amazon lässt einem zum Glück den Spielraum für Änderungen, Ergänzungen und Umbewertungen. Und es gibt ja nicht nur die Kundenseite, das darf man nicht vergessen, manche Kritik geht natürlich gegen den Hersteller, und hier bietet sich durch die Kundenbewertungen eine sinnvolle Option, Hersteller auf Mängel oder Hinweise reagieren.
Ruprecht Frieling: Hast Du schon mal erlebt, dass Deine Bewertung tatsächlich einen Hersteller, dessen Produkt beispielsweise objektiv schlecht war, zur Nachbesserung veranlasst hat?
Apicula: Konkrete Nachbesserungen fallen mir im Moment zu Kindle-E-Books ein, wenn die Formatierung schlecht war oder Fehler unterlaufen sind. Und es gab Artikel, bei denen man irgendwann im Lauf der Zeit Rückmeldungen (aber nicht vom Hersteller, sondern von anderen Kunden) bekommt, dass etwas verbessert wurde; Firmware bei technischen Geräten beispielsweise. Hersteller selbst – mit Rückmeldungen – sind eher rar gesät. Wenige bedanken sich für eine Rezension oder nehmen Kritik spürbar wahr.
Haben Rezensenten Macht?
Ruprecht Frieling: Hast Du schon am eigenen Leib gespürt, dass Du als Rezensentin über »Macht« verfügst?
Apicula: Na, ich gebe mir da alle Mühe. Habe schließlich unheimlich viel Anstrengung in diesen Bildungsweg gesteckt und die Lektüren »Weltherrschaft für Anfänger« oder »Diktator werden leicht gemacht« schon mehrfach gelesen! Ernsthaft: »Macht« versuche ich durchaus mal auszuspielen, das gebe ich offen und gerne zu. Es gibt einige Autoren, die mich sehr beeindruckt haben. Wenn dann meine Rezension ein Mittel ist, das ihnen helfen kann, mehr gelesen zu werden, dann helfe ich gerne. Im Gegenzug gibt es eine zunehmende Menge von Macht-Ausnutzen-Wollern, die den Rezensenten regelrecht als Dienstanbieter sehen.
Ruprecht Frieling: Ich erlebe in letzter Zeit häufiger, dass mich vollkommen fremde Firmen einladen, eines ihrer Produkte zu rezensieren. Ich meine jetzt nicht nur Bücher oder CDs, die unaufgefordert ins Haus schneien, sondern auch Haushalts- oder Elektroartikel. Was erlebst du in dieser Hinsicht und wie gehst du damit um?
Apicula: Wenn mir ein Artikel in den Kram passt, nehme ich ihn an und bewerte ihn. Dabei versuche ich durchaus – wie auch bei Büchern oder Filmen – interessante Artikel auszusuchen. Trotz der besten Abwägungen ist man nicht vor Reinfällen gewappnet, und dann kommen auch mal Nachfragen, ob die Bewertung nicht verbessert werden kann. Nicht schön, aber bezeichnend und neu ist es auch nicht, denn das Prinzip zog bei Buch-Rezensenten schon lange. Namhafte Großkonzerne rekrutieren ja regelrechte Produktbotschafter- oder Tester-Scharen; ich finde es legitim, wenn ein Mister Wang aus Hongkong seine Ware auch darüber promotet. Self-Publisher-Methoden funktionieren ja ähnlich. Klinkenputzen, oder?
Warum sind Self-Publisher so problematisch?
Ruprecht Frieling: Bücher von Self-Publishern fasse ich inzwischen nur noch mit Vorsicht an. Die Reaktionen auf eine sachlich-ehrliche Rezension sind bisweilen haarsträubend. Selbst musste ich mich als »Hassprediger« bezeichnen lassen, weil ich eine Anfängerschrift mit »nur« drei Sternen statt den gewünschten fünf benotet hatte. Ein mir persönlich bekannter Autor, der für seinen Erstling »nur« vier Sterne bekam statt der (vermutlich gewünschten) fünf kündigte mir daraufhin die »Freundschaft«. Es mag nun spekuliert werden, warum manche Menschen derart enttäuscht reagieren. Der von der eigenen Erfolglosigkeit genährte Neid und der daraus erwachsende blindwütige Hass gegen andere, die vielleicht die Gründe erkennen und nennen, ist sicherlich eine der Hauptursachen. Das hast du ja inzwischen auch erleben dürfen …
Apicula: Kann ich mitsingen, das Lied/ Leid … Die Self-Publisher sind verlockend günstig, und ihre Werke kommen mittlerweile vor allem vom Äußeren her verflixt nah an die Holzbücher heran. Dann liest man ja allenthalben über die Erfolgreichen unter ihnen, es muss also auch Gute geben, denke ich mir, und klicke mutig oft auf »Kaufen«.
Ruprecht Frieling: Wenn ich aus Interesse ein Buch erwerbe, dann ist die Gefahr, dass es mich enttäuscht, gerade bei Texten von Self-Publishern deshalb besonders groß, weil häufig ein Megaunterschied zwischen Werbetext, Covergestaltung und Inhalt besteht. Insofern greift man also eben manchmal nicht ins Glück, doch es ist das Recht und die Pflicht jedes Rezensenten, derartige Widersprüche herauszuarbeiten, um andere Interessenten aufzuklären. Wie oft kommt es vor, dass Leute sich von Deiner Arbeit falsch bewertet fühlen und dich ansprechen?
Apicula: Bei Büchern von Self-Publishern ist das vermehrt der Fall. Das ist wirklich eine Zwickmühle, denn wenn ich Schrott lese, dann möchte ich das genauso sagen dürfen. Dass dabei Fehler passieren oder ich mich missverständlich ausdrücke kann passieren. Rückmeldungen, wenn sachlich, sind gerne willkommen. Ich hatte neulich eine total nette Rückmeldung über einen Thriller, bei dem ich schlichtweg einen wichtigen Handlungsstrang am Ende überlesen und dem Autor ein unaufgeklärtes Ende vorgeworfen hatte, dabei war ich der Schussel. Man bricht sich kein Bein, einen Fehler einzugestehen. Ist aber trotzdem keine Verhandlungssache so eine Bewertung, wie so mancher Autor oder Verkäufer/ Anbieter sich das vorstellt…
Ruprecht Frieling: Überwiegen negative Rückmeldungen oder kann man da auch Positives daraus ziehen?
Apicula: Es gibt tatsächlich auch den umgekehrten Aspekt: Dass ein Autor, der mich vorher nicht kannte, und den ich nicht kenne, sich für eine Rezension bedankt. Das sind ganz spezielle Momente, in denen ich mich »wie Hulle« freue. Ich weiß gar nicht mehr, wie das zustande kam, doch eine sehr bekannte Autorin, deren Buch ich in so einer Kommentar-Diskussion vor unschöner Kritik in Schutz genommen habe, hat sich schließlich als Arbeitskollegin meines Mannes herausgestellt. Spannend, was so alles im Internet passiert …
Rezensionen als Marketinginstrument
Ruprecht Frieling: Kundenrezensionen entscheiden mit über den Verkaufserfolg. Ich weiß aus der Buch- und Musikbranche, dass manche Autoren, Interpreten und Verlage versuchen, gezielt nachzuhelfen. Da werden Volontäre zum Lobhudeln abgestellt, Freunde werden um Schützenhilfe gebeten. Bevorzugt werden auch Bücher der Konkurrenz systematisch verrissen. Wo beginnt für dich der Missbrauch einer Rezension?
Apicula: Dass es diese Systematik gibt, ist mir nicht fremd. Doch das nachzuweisen, ist schwer. Man kann es ahnen, vielleicht einige Indizien identifizieren, doch selten mit Gewissheit sagen, wo gezielt manipuliert wird. Den Verdacht hat man schnell – und möglicherweise auch schnell ausgesprochen. Da schießt man dann vielleicht gegen jemanden, der nichts dafür kann. Es gibt immer wieder Ratgeber, also Leitfäden, die einem sagen wollen, wie man Missbrauch erkennen kann. Aber Patentrezepte gibt es nicht. Man muss sich auf sein Bauchgefühl verlassen.
Ruprecht Frieling: Und wie gehst Du persönlich damit um?
Apicula: Ich führe in meinem Hinterkopf eine »schwarze Liste«, auf der renommierte Verlage und sogar renommierte Autoren stehen, von denen ich nichts mehr lesen oder empfehlen werde. Wenn ich mich zum Beispiel für ein Buch eines Self-Publishers interessiere, versuche ich, auf authentische Rezensionen Wert zu legen. Das ist nach meinem Gefühl eine der besten Methoden. Doch das ist kein Rezept, das ich jemand an die Hand geben könnte, denn auch hier lerne ich noch immer dazu. Man darf den Intellekt von Kunden oder potentiellen Lesern überdies nicht völlig außer Acht lassen. Denn auch Bücher, die sehr viele 5-Sterne-Rezensionen versammeln, die nach bestem Ermessen wirklich gut und ernst und ehrlich sind, sind vor Negativkritik nicht gefeit. Es gibt eben auch falsche Leser für ein Buch, das darf man nie vergessen. Und das erkennen Kunden durchaus.
Ruprecht Frieling: Unter Amazons Top-Rezensenten gibt es einige, die scheinbar jeden frisch erschienenen Mist bejubeln.
Apicula: Eben. Eine 5-Sterne Rezension bedeutet noch lange nicht, dass jeder das Buch deshalb unbedingt lesen muss. Wenn zum Beispiel Denis Scheck einen Autor lobt, würde ich nicht automatisch anfangen, dessen Bücher zu lesen. Wir Menschen ticken manchmal noch immer völlig eigen. Andererseits haben Self-Publisher nun einmal nur Social Media, Blogs, Amazon-Rezensionen etc. zur Verfügung, und was soll man ihnen da ankreiden? Wie man von den Erfolgreichen unter ihnen weiß, nimmt das Eigen-Marketing einen Wahnsinns-Anteil an Anstrengungen zu einem eventuellen Erfolg ein. Ich möchte genau das nicht schlechtmachen. Davor habe ich sogar großen Respekt, denn es ist Klinkenputzen par excellence. Meine Hochachtung vor den Damen und Herren, die sich um ihre Schäfchen kümmern und per Facebook und Twitter immer für die Leser erreichbar sind.
Ruprecht Frieling: Amazon sieht die Kundenrezensionen »als Forum des Meinungsaustausches, der möglichst spannend und ausgewogen sein sollte«. Man ist an vielen Zugriffen interessiert, je häufiger geklickt wird, desto mehr wird auch konsumiert. Kundenrezensionen werden damit zu einem mächtigen Marketing-Tool, an dem sich nicht nur Käufer orientieren, sondern dem auch Hersteller bzw. Anbieter wirtschaftlich ausgeliefert sein können.
Apicula: Diese Aussage passt gut zu den Entwicklungen der letzten Jahre. Eine Rezension ist manchmal nur eine fragwürdige Meinungsäußerung, oder man stößt auf Provokation in Reinform, und da schwillt einem gerne mal der Kamm. Wie ich das Zitat interpretiere, ist das möglicherweise vom Hausherrn sogar gewünscht, weil »spannend«? Das wäre eine Erklärung, dass man das Publikum damit regelrecht hinter dem Ofen hervorlocken möchte. Diese Mentalität des Sich-Aufregens und anonymen Dampf-Ablassens – vor allem im Internet – ist ja deutlich erkennbar, warum also nicht zur Umsatzsteigerung nutzen? Das sind so Gedanken, die mir im Nachgang des einen oder anderen »spannenden Meinungsaustausches« kamen. Man muss heutzutage echt aufpassen, wofür man sich vor den Karren spannen lässt. »Spannender Meinungsaustausch« ist doch ein Euphemismus, oder?
Befördern negative Rezensionen den Verkauf?
Ruprecht Frieling: In der Public Relations gilt als Grundsatz, dass es nichts Schlimmeres gibt, als totgeschwiegen zu werden. Darum befördert doch eigentlich eine kontrovers diskutierte Diskussion zu den Bewertungen eine Ware erst richtig ans Tageslicht. Ich hatte diesen Fall kürzlich erst bei einer Besprechung eines Buches mit dem Titel »Bekenntnisse eines Literaturagenten«.
Apicula: In manchen Fällen halt ich das für fraglich, ob ein wirtschaftlicher Schaden für einen Autor bzw. ein Unternehmen entsteht, wenn sich viele Leser darüber kontrovers unterhalten, gar darüber streiten. Oftmals sehe ich das mittlerweile auch als erwünschte Publicity. In einigen Fällen ist gerade diese Kontroverse, also das Polarisieren, das Erfolgsrezept. Schönes Beispiel: Rezensionen zu SHADES OF GREY, da würde man doch verdächtig erscheinen, wenn man das mit fünf Sternen preist. Das Publikum applaudiert den Verrissen, kaufen tut es trotzdem jeder. Aber mal ernsthaft: Kleine Anbieter, sicher auch Autoren, könnten natürlich schon betroffen sein und echte Probleme bekommen, wenn sie womöglich sogar zu Unrecht einer Art Bashing (von Konkurrenten?) ausgesetzt sind. Aus Berichten ist mir jedenfalls bekannt, dass Amazon auf Nachfrage gemeldete Schmähkritik gelegentlich entfernt.
Ruprecht Frieling: Was fällt Dir zum Stichwort »missbräuchliche Rezensionen« ein?
Apicula: Zu viel! Ich lese ja auch Rezensionen, sehe mich jedoch nicht als »Missbrauchs-Melder«. Obwohl Amazon genau das auch an seine Kunden delegiert. Amazon delegiert überhaupt sehr geschickt. Man kann bekanntlich Rezensionen mit einem simplen Klick (und kurzem Zusatztext, wenn man mag) als »Missbrauch« melden. Ob dann was passiert, ist noch nicht gesagt. Es gibt Regeln für Missbrauch, doch wie das so ist, die sind Auslegungssache – und dann wären wir schon wieder bei Deinem obigen Zitat vom »spannenden Meinungsaustausch«. – Als Betroffener kann man nicht mehr tun, als sich sachlich mit seinem Anliegen an den Hausherrn zu wenden.
Ruprecht Frieling: Neuerdings bekommen Kunden ja nach einem getätigten Kauf eine Art Aufforderung per Mail: »Wie würden sie den Artikel, den Sie bei uns gekauft haben, bewerten?«.
Apicula: Viele Kunden fühlen sich davon genervt, einige schreiben dann schlimmstenfalls sogar etwas zum Ablauf der Bestellung (wofür es andere Rückmelde-Funktionen gibt, doch wie will man das Jedem zumuten, das auseinander zu halten). Jedenfalls kommen auf die Art weniger sinnvoll anmutende Rezensionen zustande. Ich finde das nicht so schlimm, wie es vielleicht klingt. Möglicherweise kommt durch dieses Mehr an authentischen Rückmeldungen (Kundenrezensionen) doch ein Gesamtschnitt zustande, der aussagekräftig ist und als Anhaltspunkt oder Anstupser dient, ein Produkt zu kaufen oder es besser zu lassen. Man muss sich auch vor Augen halten: Wenn jemand auf Amazon nach einem Buch sucht oder nach einem Stabmixer, dann wird er – Kritik hin oder her – vermutlich fündig, denn dazu ist er ja losgezogen. Und wenn nicht bei einem Autor X, dann bei einem Autor Y, wenn nicht beim Hersteller A, dann beim Hersteller B.
Hickhack unter Toprezensenten?
Ruprecht Frieling: Die Luft unter den Top-Rezensenten ist dünn. In Amazons internen Diskussions-Foren begegne ich immer wieder der Behauptung, dass sich Rezensenten untereinander mit »Nicht-Hilfreich«-Klicks abstrafen, um sich damit selbst im Ranking nach oben zu befördern. Wie erlebst Du das aus der luftigen Höhe der Nummer Eins in der »Hall of Fame«?
Apicula: Oh, ein Thema in Endlosschleife in den Amazon-Rezensenten-Foren! Ich empfinde es tatsächlich so, dass einige dieser Strafaktionen vielleicht von so genannten Kollegen stammen, aber sich darum übermäßig viele Gedanken zu machen hat sich als nicht lohnend herausgestellt. Denn egal was man vermutet, es wird niemals bestätigt, darum wird das zur Endlosschleife. Ich nutze den Frust als Motivation, besser zu werden. Statt mich über »Nicht-Hilfreich«-Klicks aufzuregen, schreibe ich lieber neue Rezensionen. Mein Statement: Faktisch schaukelt sich die ganze Kacke (sorry, das ist durchaus so gemeint) nach meiner Beobachtung regelrecht hoch.
Ruprecht Frieling: Hast Du ein Beispiel parat?
Apicula: Zehn oder 50 Rezensenten bekommen einen Artikel (zum Beispiel aus dem Vine-Tester-Programm) zum Testen zur Verfügung gestellt, und viele erheben – völlig legitim natürlich – die Ambition, die hilfreichste Bewertung dazu geschrieben zu haben. Wenn jetzt dummerweise keine echten Kunden das für »hilfreich« befinden, fangen die Kameraden an, sich selbst eine Stimme zu geben oder gar zwei (ja, das ist möglich und keine Hexerei) und dann kommt mit ziemlicher Sicherheit einer daher, der das unfair findet und stempelt das – *Ironiemodus an* völlig legitim natürlich *Ironiemodus aus* – als »Nicht hilfreich« an. Und dann beginnt der Frust: Einige klicken zurück und – schwuppdiwupp – hängt der Eine dem Anderen am Hals, alles schön anonym. Aus Sicht der Beteiligten alles natürlich »völlig legitim«. Oft entsteht eine üble Kettenreaktion aus diesem dämlichen Geklicke … Diesen unnützen Effekt kann man auch bei Bewertungen der Bücher von Self-Publishern zunehmend beobachten. Ich finde: Man muss in diesem Zusammenhang jedem dankbar sein, der seinen Klick-Finger stillhalten kann.
Vine-Tester-Programm ist umstritten
Ruprecht Frieling: Du erwähnst das Vine-Tester-Programm von Amazon. Soweit ich weiß, spricht das Unternehmen nach mir unbekannten Regeln einzelne Rezensenten an und macht sie zu »Vinern«. Denen werden dann eine Vielzahl von Artikel zur Bewertung zur Verfügung gestellt. Unlängst wurde bekannt, dass einer dieser »Auserwählten« einen schwunghaften Handel mit dem Zeug auf Ebay veranstaltete; er wurde daraufhin rausgeworfen. Kannst du erklären, was sich hinter »Vine« verbirgt?
Apicula: Mehr als diese »unbekannten Regeln«, nach denen man zum »Viner« wird, weiß ich auch nicht. Es war bei mir so, dass ich diese Einladungs-Mail im Sommer 2010 bekam und natürlich bin ich im Nachhinein froh, dass ich sie nicht als »Was wollen die denn jetzt schon wieder von mir?« gleich gelöscht habe. Wer klickt im Zeitalter von Phishing und Spam schon auf einen Link einer Mail, die so aussieht, als ob sie von Amazon kommt? Rechtfertigungen oder Vermutungen warum einer in dem Programm ist, und viele andere nicht, sind reine Spekulation. Seitens Amazon erfährt man nichts über Ausschlüsse. Ich möchte nichts schönreden, was man mit wenigen Klicks selbst nachrecherchieren kann. Klartext: Ja, dass Artikel die im Vine Programm erhältlich waren, auf Internetauktionsbörsen zu finden sind, ist bekannt. Die Verantwortung liegt bei jedem Einzelnen. Ich wünschte mir, dass das abgestellt wird, denn hier sind einige wenige verantwortlich, dass schließlich alle suspekt beäugt werden und pauschal einen schlechten Ruf übergestülpt bekommen. Kacke, sowas. (Hoffentlich lesen die, die gemeint sind das mit und stellen das bitteschön ab!)
Ruprecht Frieling: Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hat sogar davor gewarnt, den Rezensionen des so genannten Vine-Clubs zu vertrauen. Letztlich handelt es sich um Marketing-Instrumente. Da würde mich Deine Sichtweise schon genauer interessieren.
Apicula: In dem Artikel wird gemutmaßt »dass kaum jemand riskieren wird aus dem Programm zu fliegen« (gemeint ist wohl, wenn man KRITISCHE Bewertungen schreibt). Hier berufe ich mich auf die Informationsseite von Amazon zum Vine Programm. Dort heißt es: »Uns sind ehrliche Meinungen über das Produkt wichtig – positive oder negative.« Auch im Gespräch mit einer Pressevertreterin von Amazon habe ich im Gespräch in Erfahrung gebracht, Kritik sei ausdrücklich erwünscht und niemand würde aus dem Programm fliegen, wenn er ein Produkt kritisiert. – Also, dass Amazon daran gelegen ist, kritische Rezensionen zu unterdrücken, halte ich für eine Urban Legend. Faktisch sind aber nun einmal mehr Produkte gut als schlecht, alles andere wäre doch Humbug. Muss man doch mal klar sehen, die Firmen arbeiten mit Qualitätsmanagement-Systemen und verfolgen womöglich sogar Null-Fehler Strategien, also wenn dann Kunden herumkrakeelen, dass ein profitabel arbeitendes Unternehmen 50 Vine Tester »anheuert« um einen großen Mist gutzureden, dann muss ich arg am Intellekt dieser Nörgler zweifeln. Sogar Verlage bringen seit jeher Bücher heraus, die sie nach eigenem Ermessen wohl für gut befunden haben, es muss nur die richtigen Leser finden. Bei vielen Produkten ist das doch auch nicht anders.
Untergraben Gratisartikel die Unabhängigkeit?
Ruprecht Frieling: Das Überlassen kostenloser Test-Produkte ist keine Erfindung von Amazon, das wird – wie die Sache mit Buch-Rezensionen schon seit Jahrzehnten – geschickt verlagert auf Hinz und Kunz und dazu gehören nicht nur Amazon-Rezensenten. Auch andere Shops ziehen da nach, abgesehen von Bloggern, äußerst erfolgreichen YouTube-Testern, oder eigenen Produktbotschafter-Seiten, die von Unternehmen zur Verfügung gestellt werden mit entsprechenden Produktproben oder Testmustern.
Apicula: Mir hängt die Thematik zeitweise schon zum Hals heraus, denn egal wie man es macht, es wird einem irgend etwas unterstellt: Schreibt man positiv aus Überzeugung, ist man Jubelperser, schreibt man kritisch aus gutem Grund, wird vermutet, dass keine weiteren Artikel mehr zur Verfügung gestellt werden. Man kann nicht mehr, als nach bestem Ermessen die Dinge testen und bewerten, vielleicht auch vergleichen. Und das macht der Großteil von uns. Mir gefällt das Vine Tester Programm. Mir gefällt aber nicht alles, was damit ans Licht gespült wird.
Ruprecht Frieling: Vine-Tester sind als solche gekennzeichnet. Man kann aber auch beantragen, diese Bezeichnung unsichtbar zu machen. Ist das nicht unehrlich?
Apicula: Nein, das empfinde ich nicht als unehrlich und Irrtum, es wird nichts unsichtbar gemacht. Du sprichst auf die Plakette »VINE-STIMME« an, die im Profil eines Rezensenten sichtbar gemacht werden kann. Diese Plakette kann der Rezensent an- oder abstellen. Es obliegt jedem selbst. Ich habe die Plakette abgestellt. Kunden stoßen in der Regel nicht zuerst auf das Profil eines Rezensenten, sie suchen ja nach einem Produkt und den dort anhängigen Bewertungen (Rezensionen). Genau dort findet der Kunde die Information, ob es sich um eine Rezension aus dem Amazon-Vine-Tester-Programm handelt; oberhalb jeder einzelnen solchen Rezension ist deutlich lesbar ein grüner Text ausgewiesen: »Vine Kundenrezension eines kostenfreien Produkts«. Der Kunde erhält die Information also auf jeden Fall und hat so nach eigenem Ermessen die Möglichkeit zu entscheiden: »Aha, gekaufte Rezension!«, oder »Übles Marketing!« *Ironiemodus!* Denn so sieht nach dem gefühlten Empfinden die Realität aus. Wir Vine-Rezensenten erleben das immer öfter, dass damit regelrechte Bashings losgetreten werden; am Ende nicht nur gegen die Rezensenten, sondern gleich gegen die Produkte mit dazu. Sehr schade.
Drohungen gegen Rezensenten
Ruprecht Frieling: Mir hat neulich ein Autor einen Hausbesuch und Schläge angedroht, weil ich sein Buch auf Amazon als »esoterisches Geschwurbel« bezeichnet habe. Was ist das Krasseste, das du erlebt hast?
Apicula: Letzten Sommer bekam ich eine Androhung auf Einklage von Umsatzrückläufen eines Self-Publishers und die Androhung einer Abmahnung für eine andere Sache, die überhaupt nichts mit Amazon zu tun hatte, mich aber persönlich treffen sollte. Dann gab es unlängst ein Angebot, gegen Geld eine 3-Sterne-Rezension (wieder ein Self-Publisher …) zurückzunehmen. So etwas kannte ich noch nicht. Oft ist es das Beste solche Drohungen und »Angebote« zu ignorieren. Immer gelingt das nicht. Seine Meinung zu sagen und sei es noch so sachlich angedacht, artet gerne in ein infantiles »Ich will recht haben. Und Du bist sowieso doof«-Ping-Pong aus. Enervierend … Es sei denn man hat Spaß dran. Soll’s ja geben. Also Trolle …
Fake-Accounts und Abklick-Aktionen
Ruprecht Frieling: Von anderen Kollegen weiß ich, und auch in den Amazon-Foren wird bestätigt, dass viele Rezensenten über diverse Fake-Accounts verfügen, um auch mal offen ihre Meinung sagen zu können. Das geschieht offenbar, um den Status ihres Alter Egos zu schützen und keine Abklick-Aktionen zu erfahren. Wird das gesamte Bewertungs-System denn nicht absurd, wenn in der Oberliga Bewertungen geschrieben werden, die auf bestimmte Befindlichkeiten Rücksicht nehmen?
Apicula: Das wäre nicht der einzige Aspekt, der das System absurd erscheinen ließe. Das Ranglistensystem ist auch ohne diese Fake-Accounts (Trolle?), mit denen die Leute sich gegenseitig das Leben schwer machen, schon absurd genug. Eine Erkenntnis die ich für mich mitgenommen habe: Erst wenn jeder, der meint, ganz oben stehen zu müssen, auch wirklich ganz oben steht, wird es für alle fair sein. *Ironiemodus wieder auf OFF* Da müsste Amazon das Nummer-Eins-Podest schon gewaltig in die Breite ausbauen. Doch da man nicht annehmen kann, dass dies geschehen wird, agiert munter jeder nach seinem Ermessen, so lange Amazon all diese Möglichkeiten bietet.
Ruprecht Frieling: Fake-Accounts sollen auch dazu benutzt werden, um sich selbst »Hilfreich«-Klicks zu geben. Was siehst du das?
Apicula: Erst vor zwei Jahren habe ich durch einen Tipp im offiziellen Rezensenten-Forum erfahren, dass man dazu nicht einmal einen Fake-Account benötigt, es ist leider wirklich sehr simpel. Ob man sich mit dieser Art der Selbstbeweihräucherung einen Gefallen tut, halte ich für fragwürdig, denn soweit ich berichten kann, hatte ich einmal so einen Fan (das ist kein dezenter Hinweis, dass ich das selbst gemacht habe), und alles, was von mir rezensiert wurde, wurde relativ umgehend mit »Hilfreich« versehen. Das rief sofort Neider auf den Plan und säte Misstrauen bei einigen Leuten. Den Effekt beobachte ich noch heute, auch bei anderen, die weit oben im Rampenlicht stehen. Es gibt vielleicht ja auch wohlmeinende Menschen, die klicken, weil sie etwas wirklich als nützlich empfinden, auf »Hilfreich«. Dann kommt der Miesepeter, der mich noch nie leiden konnte, denkt sich »Aha, die bewertet sich selbst, der muss ich’s aber zeigen. So geht das ja nicht!« – und setzt zack! Sein »Nicht hilfreich« dazu. Albern, dass sich die Bewerter untereinander bewerten…
»Nicht Hilfreich«-Klick abschaffen*
Ruprecht Frieling: Es wird immer wieder angeregt, die Möglichkeit des »Nicht Hilfreich«-Feldes abzuschaffen. Damit würden Strafaktionen verhindert und nur noch nach den »Hilfreich«-Klicks gerankt werden. Wäre dies eine Lösung des Problems?
Apicula: Je mehr man sich damit auseinandersetzt, desto mehr manifestiert sich diese Überzeugung, sogar bei mir. Im Grunde denke ich, dass es Amazon ziemlich wurscht ist, ob wir Rezensenten uns über den Nicht-Hilfreich-Button aufregen … so lange wir nur überhaupt darüber reden, also KLICKs generieren … Im Grunde dient der »Nicht Hilfreich«-Button als probates Mittel, Frust loszuwerden, und wird als solches auch genau genutzt. Ich will das damit nicht gutheißen.
Ruprecht Frieling: Was hältst Du von einem Real-Namen-Zwang für Rezensenten?
Apicula: Nichts. Spätestens seit ich vor Jahren herausgefunden habe, dass ich mich auch als »Biene Maja« mit Realnamen-Plakette anmelden konnte. Im Hintergrund kennt Amazon allerdings meinen echten Namen durch die Kreditkarten-Informationen. So völlig unreal ist man zumindest für den Hausherrn dann doch nicht. Ich persönlich hänge sehr an meinem Pseudonym und an dem bisschen Anonymität, die man dadurch noch hat.
Ruprecht Frieling: Du bist jetzt sieben Jahre lang Toprezensentin. Was für eine Mentalität muss man haben, um das durchzuhalten? Ich könnte mir vorstellen, dass ein guter Schuss Manie dazugehört.
Apicula: Gut geraten. »Manie« hört sich zwar nicht so nett an, kommt aber wohl hin. Es ist zur Gewohnheit geworden und sogar mein lieber Onkel zieht mich gelegentlich damit auf. Es gab in meinem Leben auch Phasen, in denen diese Manie ruhte, weil es keinen Spaß gemacht hat oder andere Prioritäten gab. Es ist also nicht auszuschließen, dass von einem Tag auf den anderen wieder etwas passiert und ich pausiere …
Manie und Motivation
Ruprecht Frieling: Die Lieblingsfrage der Medien lautet, was Du konkret von der ganzen Geschichte hast. Sind es die Gratis-Artikel, die dir als Top-Testerin zur Verfügung gestellt werden?
Apicula: Ja, das mit den Gratis-Mustern motiviert durchaus. Weitere finanzielle Anreize oder Bezahlung gibt es nicht – weswegen das alles vermutlich von vielen als »bekloppt« abgestempelt wird. Sei’s drum, dann bin ich halt bekloppt.
Ruprecht Frieling: Wie viel Zeit verwendest Du täglich, um nach dem eigenen Ranking zu sehen? Bist Du in den ersten Jahren morgens schweißnass erwacht und an den Rechner getaumelt, um zu sehen, ob Du vom Thron gestoßen wurdest?
Apicula: In Stunden habe ich das nie umgerechnet. Wenn ich meinen Alltag in Zeit umrechnen würde, würde ich mir jeden Tag Pizza bestellen, Chinesisch oder Döner, denn ich koche auch gerne selbst, mache selbst Pizza, Muffins, Püree, Salat. Kostet alles verflixt viel Zeit. Ich bestelle einen kleinen Garten, ziehe gefühlte Tonnen von Tomaten, die dann auch verkocht werden müssen. Ich hätte dann vielleicht eine Putzfrau, denn die Zeit fürs Putzen könnte ich mir sparen. Es gibt viele Dinge, die kosten furchtbar viel Zeit. Es ist persönliche Ermessenssache, wie jeder damit umgeht.
Ruprecht Frieling: Mit der Zeit kommt auch Routine ins Spiel, das kann ich nach vierzig Jahren Journalismus wohl behaupten …
Apicula: Ja, Routine trifft den Punkt, das Schreiben selbst geht schneller vonstatten, als noch vor Jahren. Schweißnass wurde ich gefühlter Weise, als ich vor knapp über einem Jahr Nummer Eins wurde und mir gemeine Kommentare zu diesem »Erfolg« in der ersten Zeit sehr zu Herzen nahm. Sprich: Mich hat einiges mehr aufgeregt als gut für mich war. Letztendlich gab es auf der anderen Seite so nette Mails und liebe Kommentare, die jetzt nach so langer Zeit das sind, was mir nachhaltig Freude beschert hat, was geblieben ist. Dafür an der Stelle ein herzliches Dankeschön an meine Leser.
Ruprecht Frieling: Wie viel Zeit investierst Du in die Sichtung von Produkten? Wie lange benötigst Du, um eine Bewertung zu verfassen?
Apicula: Sichten geht von fünf Minuten bis zu mehreren Wochen. In fünf Minuten verschaffe ich mir einen ersten Eindruck, in seltenen Fällen ist das ausreichend. Die Regel ist eine Langzeitnutzung und entsprechende Nachträge, wenn sich weitere Eindrücke ergeben, auf die man einfach erst nach langer Zeit – oder nach Rückfragen – kommt. Mehrere Wochen gelten für teures Equipment, und einige Kaffeevollautomaten laufen bei mir wirklich über Monate oder Jahre, so dass ich damit ständig Erfahrungen sammeln kann. Was ich als einmalige Option sehe, dass man beispielsweise Epilierer oder Power-Banks von unterschiedlichen Herstellern testet und dauerhaft nutzt, wird von einigen gerne als Gier oder sonst wie missgünstig betrachtet. Mit ein wenig Mühe und Interesse am Thema findet man aber als Tester Unterschiede heraus, die am Ende dem interessierten Verbraucher nützlich erscheinen mögen.
Ruprecht Frieling: Die Prüfung einer Zahnbürste mag nur Minuten erfordern, eine CD läuft schon eine Stunde, ein Film zwei Stunden, und für ein Buch braucht man mehrere Tage, um es zu lesen. Wie gehst Du mit letztgenannten Artikeln um: Liest Du wie weiland Reich-Ranicki nur die erste Seite eines Buches und kannst es dann beurteilen? Spielst Du ein, zwei Songs einer CD an und kommst zu einem Urteil?
Apicula: Es gibt verschiedene Stadien wie man zu einer Bewertung kommt: Anfangseuphorie und die Zeit des Nachhalls. Selten passt das eine mit dem anderen übereinander, einiges bleibt unbewertbar, viele angefangene Bewertungen lagern im Hinterkopf oder auf einem Speicherstick und warten auf den günstigen Moment. Wenn es dann fließt, kann es schnell gehen – eine Stunde, vielleicht zwei? Also die Zeit ist es nicht, die mich scheitern lässt, es muss erst einmal im Kopf das richtige Gebräu zustande gekommen sein, ordentlich vergoren – und wenn’s dann sprudelt, gibt’s kein Halten.
Buchbesprechungen sind zeitintensiv
Ruprecht Frieling: Wir reden auch über die so genannte Belletristik, über ChickLit, Romance, Fantasy und auch Thriller oder Krimis, die man liest, weil sie »in« sind. Da schmökert man dann einen Tag, eine Woche und die eigentliche Bewertung zu schreiben dauert ein, zwei Stunden. Eine Entscheidung darüber, ob ein Buch drei, vier oder sogar fünf Sterne verdient, kann oft noch mal eine Zeit dauern …
Apicula: Ja, da sitzt und grübelt man oft über die (doofen) Sterne. Das mit den Sternen ist ja so eine Sache. Dazu vertrete ich die Ansicht, dass Leser von Rezensionen ihr Hirn nicht mit Lesen einer solchen abgeben sollen. Für mich liegt der Reiz der Rezensionen bei Amazon seit jeher darin, dass so viele verschiedene Aspekte von unterschiedlichen Lesern (oder Produkt-Nutzern) einfließen. Ein unheimlich breit gefächertes Spektrum an Erfahrungen, vorausgesetzt die Leute nehmen sich die Zeit, um selbige kurz auszuformulieren. Mein Appell: Schreibt einfach nach eigenem Ermessen immer mal ein paar Worte als »so genannte Rezension«. Für andere Leser sowie natürlich für den Autor ist das wichtig.
Ruprecht Frieling: Mir platzt bisweilen im wahrsten Sinne des Wortes der Kragen, wenn mir das Schicksal Bücher in die Finge spült, die inhaltlich, stilistisch oder in der Präsentation einfach nur hanebüchen sind. Gern nutze ich dann das Skalpell der Sprache, um das Teil zu sezieren, was meistens zu beleidigten Ausbrüchen der Verfasser führt …
Apicula: Es gibt Bücher, die hätten einen besser nicht gefunden! Bei Büchern, die sich lesen wie Kaugummi, verspüre ich trotzdem die seltsame Hoffnung, dass es vielleicht noch besser wird, dass noch etwas passiert, dass ich wenigstens noch erfahre, wie es ausgeht. Der Frust ist vorprogrammiert: Einige Stunden, gar einige Tage, komplett verplempert! So kommt es dazu, dass ich diesen Frust auch aufschreibe und veröffentliche. Das ist mir neulich bei einem Verlagsbuch passiert, es geht also nicht immer nur um die Self-Publisher … Andererseits: Verplemperter Zeit entziehe ich auch Positives! Ich find es wichtig zu ergründen, warum ein Text / eine Handlung überhaupt als schlecht aufgefasst werden kann. Genau das ist für mich als Autodidakt (ich hab nie gelernt, wie man Kritiken schreibt) schwierig, sachlich zu beschreiben. Deswegen sind meine Nicht-Empfehlungen vielleicht nicht immer optimal formuliert. Erst in jüngster Zeit bin ich dank Kindle E-Books durch das Lesen von Schreibratgebern überhaupt auf die Schliche gekommen, was gute oder schlechte Schreibe so ausmacht; also wie das Schreiben funktioniert – so dass es für den Leser spannend bleibt.
Ruprecht Frieling: Das klingt so, also ob Du bereits darüber brütest, selbst Bücher zu schreiben? Als Top-Rezensentin müsstest Du ja inzwischen alle Kriterien kennen, um einen Mega-Erfolg zu landen …
Apicula: Oh, da wären die Erwartungen an mich selbst wahnsinnig groß. Ich habe Dein Interview-Buch mit erfolgreichen Self-Publishern gelesen, ein Buch, das ich übrigens rundum empfehlen möchte, es macht Spaß und ist lehrreich! – Doch man darf da nicht nur die rosarote Seite sehen und die Dollar-Zeichen in den Augen haben, denke ich. In einem guten Buch steckt sehr viel mehr Arbeit als ein unbedarfter Leser vermutet. Aber ich bin ja auch nicht an einem Tag Nummer Eins bei Amazon geworden, wer weiß?
*Nachtrag
Nach Veröffentlichung dieses Interviews hat Amazon den »Nicht Hilfreich«-Button abgeschafft. Ein Dankeschön dem Amazon Country Manager Ralf Kleber!