Welche aufgeregte Vorfreude erfasste mich in meiner Kindheit, wenn wir in die große Stadt fuhren, um dort das Weihnachtsmärchen oder eine Familienoper in der Adventszeit zu besuchen! Meine Wangen glühten, und meine Augen strahlten in freudiger Erwartung ob der farbenprächtigen Inszenierung, die uns Kinder erwartete. Der Tradition, vor Weihnachten eine entsprechende Aufführung zu besuchen und mich mit den anwesenden Kindern daran zu erfreuen, bin ich treu geblieben, und so fuhr ich jüngst gen Dresden, um die Premiere einer Neuinszenierung von »Hänsel und Gretel« an der Semperoper zu erleben.
Die Qualität einer Inszenierung, die sich speziell an die jüngsten Operngänger richtet, ist unmittelbar an den Reaktionen der Zielgruppe abzulesen. Kinder, die dank dieser Oper in den allermeisten Fällen erstmals mit dem Medium Musiktheater in Berührung kommen, sind frei vom zwanghaften Bemühen, alles schön reden und interpretieren zu müssen. Sie kennen das Märchen der Gebrüder Grimm und haben im besten Fall zuvor Motive und einige Lieder gehört. Kinder reagieren unverdorben, und ihr erstes Opernerlebnis prägt ihr künftiges Verhältnis zur klassischen Musik und zur Kunstform Oper. Insofern lässt sich die aktuell in Dresden gezeigte Version der herrlichen Oper von Engelbert Humperdinck recht schnell beurteilen: schon im ersten Akt beginnen die Kinder, miteinander zu tuscheln, zu spielen und sich offensichtlich zu langweilen. Das allein müsste allen Verantwortlichen ein unübersehbares Alarmzeichen sein.
Was läuft in Dresden schief? An der poetischen Musik der Oper liegt es auf keinen Fall. Denn es gibt eine Vielzahl von Bühnen in mittleren und großen Städten, die »Hänsel und Gretel« zum Jahresausklang präsentieren und damit stabile Erfolge verzeichnen. Es liegt in diesem Fall an der Inszenierung. Katharina Thalbach, deren sonstige Talente unbestritten sind, versucht sich erneut als Operregisseurin. Kokett erklärt sie zu ihrer Dresdner Arbeit, sie habe das »Partiturstudium durch CD hören ersetzt«. Offensichtlich reicht das aber als Qualifikation nicht aus. Und so macht Frau Thalbach aus einer Oper für Kinder, die durch ihre Story schon spannend genug ist und Interpretationen eine echte Chance gibt, eine intellektuelle Veranstaltung für Erwachsene.
Statt bei Ouvertüre, Zwischenspiel und Hexenritt auf die Musik zu achten und dieser den erforderlichen Raum zu geben, lenkt sie mit Schattenspiel und Allegorik ab. Eine Armee der Märchenfiguren marschiert auf: sieben Zwerge hopsen herum, Rotkäppchen, das den Wein der Großmutter selber süffelt, torkelt über die Bühne. Die böse Stiefmutter aus Schneewittchen reicht ihr den vergifteten Apfel. Dieser wird dann jedoch vom bösen Wolf geraubt, der darauf im Schlafrock der verspeisten Großmama sterbend in den Himmel der fetten (von der bösen Hexe gemästeten und verarbeiteten) Pfefferkuchenkinder aufsteigt Das ist ja alles recht lustig, und für Erwachsene mit Humor auch erbaulich. Aber es ist rücksichtslos gegenüber denjenigen, die erstmals den Zauber der Oper erleben dürfen und mit »Hänsel und Gretel« ihre ersten zarten Schritte in die große Welt der Musik setzen.
Die Kinder, die von der Nacherzählung des Grimmschen Märchens gefangen genommen werden sollten, verlieren rasch den Überblick und auch die Lust, dem Geschehen zu folgen. Es ist folglich eine Version für die reifere Jugend, die uns Dresdens Vorzeigebühne im Familienprogramm präsentiert, und selbst die hat offensichtlich Verständnisschwierigkeiten. Vollends um den Genuss gebracht wird der Betrachter, als die im Wald beim Beerensuchen verirrten Geschwister an ein Hartz-4-Hexenhaus aus sechs großen Bahlsenkeksen kommen. Wie sehr muss den Besuchern des Dresdner Opernbetriebes das Herz bluten, wenn sie an die »Hänsel und Gretel«-Inszenierungen vor 1991 denken: damals stand in jeder Aufführung ein Pfefferkuchenhaus aus dem Bilderbuch auf der Bühne, und nach der Vorführung konnte es sogar noch bis auf den letzten Krümel verspeist werden!
Der intellektuell verbrämte Minimalismus, mit der die aktuelle Inszenierung daher kommt und das teilweise gegen die Musik inszenierte Gehopse und Gespringe auf der Bühne ist für Freunde dieses musikalischen Kleinods schwer zu akzeptieren. Wo der Zuschauer ein phantasievoll-phantastisches Bühnenbild erwartet, wird er mit Stoffbahnen statt einem tiefen Wald und mit einem Kästchen statt einem Hexenhaus abgespeist. Es gibt kaum Zusammenspiel zwischen Graben und Bühne und so verklumpt auch das Mitempfinden der berühmten Kinderlieder, die teilweise längst Volkslieder sind (»Suse, liebe Suse, was raschelt im Stroh«, »Ein Männlein steht im Walde«, »Knusper, knusper, knäuschen, wer knuspert an mein Häuschen«, » Brüderchen, komm tanz mit mir«).
Engelbert Humperdinck, der als Wagners Assistent arbeitete und dies in seiner Musik auch immer wieder durchschimmern lässt, hat mit »Hänsel und Gretel« zwar keine Oper für Kinder geschrieben. Dennoch ist gerade dieses Märchenspiel in drei Bildern für Generationen der Schlüssel zur Oper geworden. Es ist insofern schon fast sträflich, diesen Aspekt zu ignorieren und das nachwachsende Publikum sich selbst zu überlassen, während die Artisten selbst verliebt am Bühnenhimmel turnen.
Huhu, da schaut eine alte Hexe raus.
Sie lockt die Kinder ins Pfefferkuchenhaus.
Sie stellte sich gar freundlich, o Hänsel, welche Not,
sie will dich braten, im Ofen braun wie Brot.
Knusper, knusper Knäuschen …
Lieber Rupi,
Das Thema (Fehl-)Inszenierung haben wir beide ja schon des öfteren durch die Mangel gedreht. Da hast du wieder mal ein Paradebeispiel angebracht! Ich denke selbst eine Sternstunde der Sänger und Musiker reißt hier nichts mehr heraus. Und gerade bei diesem Werk, das wie geschaffen ist um Kinder an die Oper heranzuführen, sollte die Optik stimmen. Was ist denn bitte so falsch an zwei rotbäckigen Kindern, einer hässlichen Hexe und einem klassischen Knusperhäuschen? Hier hat Frau Thalbachs persönlicher Geschmack bzw. Profilierungssucht nichts verloren, finde ich.
Lieber Rupi,
ein sehr anschaulicher, lieber Bericht – weil so mitfühlend für das Kinder-Publikum. Doch leider musst Du wieder einmal das leidige Thema „Inszenierung“ auf den Tisch bringen. Auch ich habe wunderbare Opern erlebt, die total verhunzt wurden. Aber gerade hier, wo für Kinder gespielt wird, wäre besondere Sensibilität angebracht gewesen. Denn die Erlebnisse in diesem zarten Alter können für ein Leben prägend sein. Zu entschuldigen ist das mit nichts! Da hat eine Frau Thalbach, trotz ihrer sonstigen Meriten, einfach ganz großen Mist gemacht. Das sollten sich Intendanten hinter die Löffel schreiben.
Profilierungsgehabe einer „Künstlerin“ auf Kosten des Zuschauers. Schlimm wenn es dann auch noch Kinder sind, sie sind schließlich die zukünftigen Besucher dieses Hauses. Ich finde es immer wieder traurig wenn man versucht „originell“ und modern zu sein und darüber das eigentliche Stück vergisst.
nachdem diese inszenierung bereits auf dvderhältlich ist, nachdem die uraufführung letztes jahr bereits bei arte gezeigt wurde, werde ich mir irgendwann demnächst (vor weihnachten wird das nicht mehr zu schaffen sein) ein paar kinder zu einem filmnachmittag einladen, um danach deren meinung über die geschichte zu hören. auf der zdf-mediathek gibt es übrigens ein filmchen, in der ausschnittweise szenen der oper zu sehen sind und in der sie neben anderen schauspielerInnen auch selbst zu sehen und zu hören ist. natürlich ersetzt so eine dvd-guckerei keinen opernbesuch, aber mich interessiert jetzt, nachdem ich deine kritik gelesen habe, einfach mal, wie kinder mit einer so verfremdeten darstellung eines alten stoffes reagieren. keine angst, ich werde die kinder weder auf ihren stuhl fesseln, noch sie zwingen, während ich mir den film bis zum ende anschaue, an meiner seite auszuharren. du hast mich höchst neugierig auf so ein experiment gemacht.
ab freitag, den 14.12.2007 von 19.40-21.30 + folgeterminen gibts das singspiel übrigens auch auf zdf digital zu sehen
den begriff ‚hartzIV-hexenhaus‘ finde ich im übrigen, egal, wie das hexenhaus aussieht, diskriminierend.
lg
Es ist sehr schade, dass ein so wunderbares Werk auf diese Art und Weise verhunzt wird. Ich schätze Katharina Thalbach sehr, aber in diesem Fall hat sich sich wohl nicht gerade beliebt gemacht, schade!
Amüsant geschrieben, aber: wenn Sie sich hier als Anwalt der Kinder und deren Erwartungen an den weihnachtlichen Opernbesuch verstehen, möchte ich an dieser Stelle auch erwähnen, dass meine Kinder (10 und 3) den Abend geliebt haben und besonders von der „Abendsegen-Rutsche“ wirklich entzückt waren.
Ich kenne eigentlich kein Dresdner Kind, das die Inszenierung nicht mochte, natürlich ist sie unkonventionell aber in keiner Weise schockierend oder ununterhaltsam.
PS:
Im übrigen sind die Sehgewohnheiten der Kleinen weitaus weniger festgefahren als die unseren.
Ich erinnere mich, als-hmmm….etwa Zehnjährige?-zum erstenmal den Ring gesehen zu haben, und zwar in der damals heftig verrissenen, heute hochgelobten Chereau-„Jahrhundertinszenierung“.
Alles war für mich neu und spannend, ich kannte die Konventionen gar nicht, mit denen Chéreau brach, für mich war es ganz normal, dass Wotan einen Bratenrock trug und die Rheintöchter auf einem Stauwerk turnten.
Einzige davongetragene Narbe in meiner Geschmackswelt ist vielleicht, dass ich es heute seltsam finde wenn Wotan keinen Bratenrock trägt….
Es sollte eine ganz besondere Reise werden….
Dresden…Semperoper…Hänsel und Gretel !!
Ich habe diese Kurzreise (mit einem Opernbesuch) meiner Mutter zum bevorstehenden 70Geb.geschenkt.
Wir kommen aus Köln, haben selber ein Opernhaus, was dieses Weihnachtsmärchen aufführt.
Weil ich als Jugentliche immer die Einladung meiner Mutter ausgeschlagen habe wollte ich mit Ihr in ganz besonderem Flair dieses nachholen und Ihr eine unvergessene Freude bereiten.
Leider waren wir zutiefst Entäuscht über diese kalte und nüchterne Aufführung.
Was hat eine Schildkröte in diesem Klassiker zu suchen…und wo bitte war der „Traum“ vom Wald und Knusperhäuschen ??
Statt dessen tummelte sich Rotkäppchen, der böse Wolf und die sieben Zwerge auf der Bühne.
Der Glanz des schönen Hauses und der ganzen Reise waren dadurch getrübt !!!!
Es war nicht das erste Mal, auch die Aufführung der Csardasfürstin war eine Schande für die Semperoper…meine Mutter hat noch in der Pause das Haus entsetzt verlassen!
Ein „Drittes“ Mal werden wir diesen weiten Weg nicht mehr auf uns nehmen und auch keine gute Empfehlung mehr abgeben können !
Dankeschön für die eindeutige Stellungnahme!
Dankeschön für den Beitrag. ich finde es total interessant, wie unterschiedlich eine Inszenierung aufgenommen werden kann!
Ps.
Sorry, ich muß mich kurz berichtigen, das der „Krieg“ und das „Entsetzen“ in der Csardasfürstin erst nach der Pause begann…..
Ein Dresdener Orgelspieler auf dem Platz vor der Oper hat damals selber geäußert : „Es ist eine Schande für unser Haus“
Ich habe die Czardasfürstin damals noch in der Vorpremiere gesehen – also mit der berühmten Kopf-ab-Szene usw. Konnte die spätere Aufregung allerdings nicht nachvollziehen und halte sie eher für eine Dreden-eigene Provinzposse, die letztlich vor Gericht auch keinen Bestand hatte.
Na wenn das mal nichts ist. Dresden ist doch immer wieder einen Besuch wert
30.November 2011 – Hänsel & Gretel
Zur Warnung für alle, die sich auf eine schöne Märchenoper freuen. Die Inszenierung von Frau Thalbach ist in Teilen regelrecht geschmacklos. Oder was bitte sollte ein betrunkendes Rotkäppchen auf der Bühne? Abgesehen von der unmöglichen „Superhexe“! Wir haben nur mit dem Kopf geschüttelt! Schade auch für die Sänger und tollen Musiker!
Entschädigt hat uns nur das Haus selber. Vor einem nächsten Opernbesuch werde ich mich genauer informieren und eine Inszenierung von Katharina Thalbach kommt für uns nicht mehr in Frage.
Schade, dass uns heute jemand vor der Oper noch völlig unvorbereitet zwei Karten verkaufen konnte. Die Enttäuschung über eine derart schlechte Inszenierung. Ich bin kein regelmäßiger Operngänger und werde es nach der heutigen Darbietung in der berühmten Semperoper sicherlich auch nicht werden.
Unbegreiflich, dass dieser Mist nun schon seit sieben Jahren aufgeführt wird!
vorstellung am 2.01.15
schade—-verwirrend-reduziertes bühnenbild-das lied über
die „engel“ nach meiner meinung leitthema-lieblos gestaltet
was soll die schildkröte-rotköpfchen betrunken usw.?
ein teurer abend – niemehr frau thalbach!!!!!!!!!
Heute – 2024 – war kein betrunkenes Rotkäppchen mehr dabei.
Gut fand ich die Schattenspiele während der Ouvertüre, das verkürzte den Kindern die Zeit.
Aber daß das Pfefferkuchenhaus aus sechs Hansakeksen bestand, ohne jede Verzierung, das nimmt dem Märchen etwas von seiner Seele.
Die Schildkröte war gut gespielt, hat aber hier nix verloren und war ziemlich sinnfrei unterwegs, bis sie dann einen Zettel mit „ILSENSTEIN“ angeheftet bekam.
Die „Lebkuchen“kinder ( verkleidet als Bonbons) tauchen in der Schlußszene unvermittelt auf – in vorherigen Inszenierungen (z.B. im Großen Haus) war der Pfefferkuchenzaun Bestandteil des Bühnenbildes. Damit war dort die Schlusszene fast selbsterklärend.
Hier jedoch war in den zwei Stunden kein einziger Pfefferkuchen zu sehen.
Warum, fragt man sich.
Danke für deinen Bericht! Thalbachs Inszenierung hat inzwischen 18 Jahre auf dem Buckel (Premiere 9. Dezember 2006). Aus der Kritik gelernt scheint man in Dresden nicht zu haben.