Ein Selfie (von englisch self = selbst) ist ein fotografisches Selbstporträt mit einem Smartphone. Unentbehrliches Zubehör ist ein »Selfie-Stick«. Ironisch auch »Deppenzepter« genannt zählt der Aluminiumstengel längst zur Standardausrüstung des Selbstdarstellungs-Spezialisten von Welt. Der Stick ermöglicht, das Kamera etwa einen Meter vor sich zu halten und damit einen wesentlich größeren Abbildungswinkel zu erreichen. Ausgelöst wird drahtlos per Blueetooth oder mit einem Knopf, der über den Audio-Ausgang per Klinkenstecker verbunden wird.
Weltweit gibt es kaum eine Sehenswürdigkeit, vor der nicht Heerscharen von Touristen mit diesen Armverlängerern herumfuchteln. Hier wird dem einen Passanten damit ein Auge ausgestochen, dort bleibt ein Radfahrer an dem Verlängerungsarm eines wild gestikulierenden Fotokünstlers hängen. Die Zahl der Marathonläufer, die in ein Deppenzepter gelaufen sind, ist bereits Legende.
Zum Leidwesen aller Nutzer der Stange wird der Gebrauch immer weiter eingeschränkt. Immerhin sind im Jahr 2015 mehr Menschen in Verbindung mit Selfies gestorben als bei Hai-Angriffen. Zwölf Tote gab es beim Versuch, teils waghalsige Selfies zu schießen, bei Hai-Attacken starben dieses Jahr hingegen bisher lediglich acht Menschen, berichtet das US-Portal Mashable. Die Daten-Sammel-Seite Priceonomics hat 49 Todesfälle festgestellt und sich dem Phänomen „Tod durch Selfie“ in detaillierten Auswertungen angenommen.
Im meist besuchten deutschen Vergnügungspark, dem Europa-Park in Rust, wurde genauso wie in den Disney-Parks der Gebrauch der sperrigen Aluminiumstangen verboten. Fußball-Stadien und die Staatlichen Museen in Berlin setzen ebenso wie das New Yorker Museum of Modern Art das Deppenzepter auf den Index. In Südkorea wird sogar mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft, wer ein nicht lizensiertes Gerät benutzt.
In sämtlichen japanischen Bahnhöfen, so schreibt mir Japan-Kenner Axel Schwab, darf der Armverlängerer nicht mehr genutzt werden, weil der Nutzer durch Kontakt mit oberirdischen Stromleitungen Elektroschläge von 25.000 Volt bekommen kann. Dabei könnte man damit doch ein so tolles Video drehen, während man verkohlt.
Die Tage des Deppenzepters scheinen demnach gezählt. Die Kunden ahnen es, entsprechend explodieren die Verkaufszahlen für die Geräte bei Amazon und anderen Portalen. Schließlich gibt es kaum ein technisches Hilfsmittel, das dem allgemeinen Bedürfnis, sich selbst mit Freunden, Prominenten oder vor Sehenswürdigkeiten abzulichten, besser entspricht.
Ein Selfie ist aber erst richtig perfekt, wenn es veröffentlicht und von Freunden und Bekannten positiv bewertet und geteilt wird. 35 Millionen davon gibt es allein bei Instagram, der Heimat des digitalen Selbstportraits. Nicht viel weniger werden es auf Facebook, Twitter und anderen »sozialen« Netzwerken sein.
Lediglich hinter den Kulissen der deutschsprachigen Wikipedia tobt ein leidenschaftlicher Kampf um die richtige Bezeichnung der »Selfie-Stange«. Nachdem es anfänglich eine Umleitung von »Deppenzeter« auf »Selfie-Stange« gab, wurde die ironische Bezeichnung in die berüchtigte »Löschhölle« verbannt. Interne Begründung: »Wikipedia bildet etabliertes Wissen ab und keine 24 Stunde alte Wortschöpfung«.
Lediglich im Wiener Kunsthistorischen Museum (KHM) heißt man die mit einem Deppenzepter ausgerüsteten Besucher willkommen. Das Museum freut sich, wenn sich die Besucher mit den Kunstwerken identifizieren und das in sozialen Netzwerken teilen. Das Knipsen von Selfies ist sogar Teil von Workshops. Das Selfie gibt es ja schon sehr lange in der Kunstgeschichte und so verweist das KHM gern auf Parmigianinos Selbstportrait im konvexen Spiegel aus dem Jahre 1523.
Noch bis zum 17. Januar 2016 ist die Selfie-Ausstellung »Ego Update« im NRW-Forum Düsseldorf zu sehen. Sie ist die erste kuratorische Arbeit von Alain Bieber als künstlerischer Leiter des Hauses und ein Kooperationsprojekt mit dem Goethe-Institut.
»Ich fotografiere, ich dokumentiere – also bin ich« heißt es im Motto der Ausstellung, die sich um das Phänomen »Selfie« dreht. Die sehenswerte Gemeinschaftsschau thematisiert, wie sich die Grundfrage der Menschheit »Wer bin ich?« unter dem Einfluss digitaler Medien ausprägt, verändert und weiterentwickelt.