Der Hofnarr ist ein Zwitter. Sein Einfluss ist unberechenbar, hoch steht er in der Gunst seines Herrschers. Besessen von der Fähigkeit, Zugang zum Ohr des Mächtigen zu finden, agiert er hoch oben in der Zirkuskuppel. Das Publikum beäugt ihn derweil argwöhnisch aus sicherer Distanz. Vertrauen wird dem Hofnarren selten geschenkt, zielgerichtete Informationen und Gerüchte sind seine Tageskost. Wenn es seinem jeweiligen Herrn gefällt, erhält der Hofnarr Applaus. Fällt er in Missgunst, ist alles vergessen, was er tat. Die Claqueure beugen sehr bald das Haupt vor seinem Nachfolger.
Hofnarren haben selbst wenig zu lachen. Der Narr ist Ratgeber und Astrologe, Seher und Vollstrecker, Medikus und Seelenarzt. Dem Einfluß gehört sein Leben.
Hofnarren wachsen mit ihrer Größe. Sie sind arbeitsam, fleißig, verschlagen. Ihr Temperament ist unausgeglichen. Auf der Suche nach Freunden stoßen sie auf eine Schallmauer des Schweigens.
Die Freunde des Herrschers geben sich als des Narren Freund, sie suchen seinen Rat in ihren Angelegenheiten, den Herrscher betreffend. Sie nützen ihn als Barometer und Testmarkt. Er dient ihnen als Resonanzkörper und Bote. Seine Antworten öffnen ihnen für kurze Zeit den Blick in die Innenwelt der Macht.
»Für die Gesundheit und ein langes Leben ohne großen Kummer weiß ich kein besseres Mittel als die Narrheit.« Michelangelo
Ein Hofnarr kennt seine Rolle, er hasst und genießt sie in einem Zug. Er beeinflusst den Herrscher, mitbestimmt sein Verhältnis zu Partnern und Publikum und derer zu ihm. Er irritiert und reklamiert, er protegiert und vernichtet. Im Höhenflug ist er dem Herrscher überlegen. Im Tiefflug fürchtet er dessen Ungnade.
Der Hofnarr kann sprunghaft und launisch sein. Bei Eintritt der von ihm beabsichtigten Reaktion blüht er auf und überfordert bisweilen seinen Herrscher. Zwischen den Höhenflügen irrt er umher und sucht nach Zufällen. Sein Leistungsvermögen ist bizarr und nicht einschätzbar, aber abhängig von einer Springflut günstiger Umstände und Begleiterscheinungen. Der Narr benötigt eine Trance, in der er an sich selber glaubt. Ohne diesen Zustand der Euphorie ist er eine leere Hülle.
Hofnarren haben aus vielen möglichen Gründen nie die Chance, selbst Herrscher zu werden. Sie werden nicht als Herrscher geboren. Niemand schenkt ihnen seinen Thron. Ihre Fähigkeiten sind zwar häufig identisch mit denen ihrer Herrscher, aber es fehlt ihnen an innerer Stabilität. Außerdem ist der Hofnarr ein Prahlhans, der sich sonnt, in vermeintlicher Größe zu stehen. Er wertet sich durch sein Verhältnis zum Herrscher auf und entbehrt damit nicht einer gewissen Tragikomik.
»Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute; seht euch an, wohin uns die Normalen gebracht haben.« George Bernard Shaw
Verstoßen aus der Gunst des Herrschers sucht er die Verbannung. Er wechselt Bühne, Szenerie und Publikum. Hat der Hofnarr Glück, ist sein neuer Auftraggeber ein noch potenterer Herrscher aus dem Dunstkreis seines bisherigen Brötchengebers. Der Hofnarr wird wieder zum Guru, und es ist nicht selten, dass sein Wissen über den letzten Mächtigen, dem er diente, ihm in den ersten Tagen seines neuen Regimes zum Vorteil gereicht.
Der Hofnarr steht unter einem permanenten Erfolgszwang. Dies treibt ihn von Höhepunkt zu Höhepunkt, und jeder Gipfel muß höher sein als der zuvor erklommene. Der Hofnarr brennt dabei wie eine Zündschnur. Fasziniert beobachtet das Publikum, wie der Funke Richtung Sprengsatz kriecht. Es scheint doch dabei stets so, dass der Zündfunke immer schneller wird, je näher er dem Sprengstoff kommt. Ist das Pulver aber erst einmal gezündet, hat die Zündschnur ihre Schuldigkeit getan.
»Ich schätze, wir sind alle Narren. Von Geburt an, wahrscheinlich.« Mark Twain
So ergeht es auch dem Narren. Er kann sein Tempo weder verlangsamen, noch kann er aufhören zu brennen, und er muß trotzdem die Illusion hervorzaubern, aus dem Funke wäre ein Steppenbrand entstanden. Er muß brennen, er muß auch explodieren. Die Moral, sein Pulver vorsichtiger zu verschießen, erreicht den Hofnarren nicht. Er muß brennen, damit der Herrscher lacht. Dann kann er gehen.
Hofnarren sind die Trabanten ihrer Herrscher. Sie sind Männer mit Narrenkappen, Zwerge und Mohren. Sie gelten als weise oder als besonders gelenkig. Sie treten in der Kutte eines Mönches auf, in bunten Gewändern der Akrobaten, mit der Würde der Belesenheit, als Seher, Guru, Rattenfänger.
Hofnarren servieren Träume, zelebrieren Illusionen und schaffen damit eine ihnen eigene Ebene von Wirklichkeit. Ihre Wolkenkuckucksheime sind stolze Burgen, vor denen sie selbst oft bewundernd erschauern.
Hofnarren träumen Realitäten und realisieren Träume. Das bunte Glitzerwerk, das sie abbrennen, erfreut alle, die nichts Größeres kennen. Sie blenden mit Volumen und lassen sich davon schließlich selbst blenden. Sie herrschen, indem sie träumen.
»Wo ein Genie auftaucht, verbrüdern sich die Dummköpfe.« Jonathan Swift
Narren leben den Traum von Herrschaft. Träume der Narren sind irrational. Sie sind innerlich zerrissen, unvollständig, sorgfältig gekittet, selten wasserdicht.
Herrscher brauchen Narren. Ohne Narr ist schwer Staat zu machen. Einflüsterer, Prediger, Ratgeber steigern die Größe des Mächtigen und suggerieren Stabilität und Weitsicht seiner Herrschaft. Herrscher stellen ihren Narren leihweise das Theater zur Verfügung, das diesen fehlt.
Dem Herrscher gehört das Theater, der Hofnarr gibt lediglich ein Gastspiel in seiner Doppelrolle als Regisseur wie als Akteur. Damit hat der Hofnarr eine Gemeinsamkeit mit seinem Schicksalsgefährten, dem Gladiator: Er kennt keine Freunde.
Wow, Bühne frei! Was für ein Feuerwerk an klugen – und nur scheinbar amüsanten – Gedanken! Ganz groß!!!
Danke dafür!
Herzlichen Gruß
Maria
Danke für die Blumen, liebe Texthandwerkerin!
Meine Meinung
seit langer Zeit:
Lieber einen Dachschaden,
als einen Schaden im Dach.
Damit lässt sich’s leichter leben, eben.
Das gackert herzlich und scharrend ein Schreibhuhn
Christine