Wie weiland Stummfilmstar Rudolph Valentino tanzt der Teufel durchs Bild und zieht auch noch ein großes Schnäuztuch hervor, um sich seine Krokodilstränen abzuwischen. Seine Rechnung ist aufgegangen: Faust ist der Glitzerwelt erlegen, die er ihm als wahres Leben verkauft hat. Derweil zieht der stimmlich ausgezeichnete Chor in exakt einstudierten Freeze Frames, quasi eingefrorenen Bildern, als maskenhafte Hintergrundlandschaft auf der sich unablässig drehenden Bühne vorbei.
Philipp Stölzl inszeniert »Faust« von Charles Gounod in der Deutschen Oper Berlin mit starken Bezügen zum Film. Die Premiere am 19.06.2015 riss das Publikum trotz starker Szenen in zwei Lager: Die Buh-Rufe übertönten teilweise deutlich den Beifall.
Stölzl schildert das Drama um Faust, der seine Seele Mephistopheles verschreibt, um sein Leben nochmals neu zu beginnen, als Latelife-Crisis eines an den Rollstuhl und lebenserhaltene Maschinen gefesselten Greises. Der Alte möchte wieder jung sein und die Liebe noch einmal in vollen Zügen genießen. Er schließt einen Pakt mit dem dienstbaren Geist und verwandelt sich darauf in einen schimmernden Adonis im goldglitzernden Lurexgewand, dem die weiblichen Teenager in Trauben am Hals hängen. Mit Hilfe kostbarer Geschenke verführt er ein Mädchen, Marguerite, in das er sich spontan verliebt, dann aber wieder verlässt. Im Ergebnis bekommt die junge Frau ein Kind, das sie tötet und dafür zum Tode verurteilt wird. Faust will sie zwar im letzten Moment noch retten, doch sie erkennt in seinem Alter Ego den Teufel und befiehlt sich Gott.
Um die Geschichte zu erzählen, kürzte der Regisseur Gounods 1859 in Paris uraufgeführte Oper um Szenen, die dem Erzählfluss in ihrer Langatmigkeit im Wege stehen. Er beginnt die Story dort, wo sie nach rund drei Sunden endet: Marguerite sitzt am Tisch ihrer Gefängniszelle neben einer Liege, auf der sie die Todesspritze bekommen soll. Warum allerdings das Mädchen durch eine etwas schlankere Darstellerin in vielen Szenen gedoubelt wird, damit also neben sich steht, erschließt sich dem Betrachter nicht und wirkt eher gekünstelt.
Leider ist die Inszenierung, die sich wie ein Karussell um einen mächtigen Schornstein aus Stein dreht, in sich nicht immer schlüssig. Die Musik unter dem Dirigat von Marco Amiliato wirkt leidenschaftslos und stellenweise verwässert. Dafür brillieren in stimmlicher Hinsicht Ildebrando D´Arcangelo als serviler Mephistopheles und Krassimira Stoyanova als überreife Marguerite. Großer Gewinner des Abends jedoch ist der fantastische Chor der Deutschen Oper, der durch Stölzl Regiearbeit zur Hauptrolle profiliert wird.
Von Philipp Stölzl hatte sich das Publikum offenbar mehr versprochen. Zwei, drei Regieeinfälle reichen nicht aus, um seine relativ verwöhnte Berliner Fanbase zu begeistern.