Von außen wirkt die Mailänder Scala eher unscheinbar und nicht unbedingt wie eines der bedeutendsten Opernhäuser der Welt. Doch von innen ist sie ein sechsstöckiges Raumwunder, das 2.300 Zuschauer fasst. Entsprechend viele Musikliebhaber drängten sich in die seit langem ausverkaufte Premiere von Wagners »Lohengrin«, mit der am 7. Dezember, dem Geburtstag des Schutzpatrons der Stadt, wie in jedem Jahr die diesjährige Opernsaison eröffnet wurde. Mit dem Dreiakter wurde gleichzeitig das Wagnerjahr 2013 eröffnet, in dem der 200. Geburtstag des Komponisten gefeiert wird.
Claus Guth inszeniert die Geschichte um den frommen Ritter, der in einem Gottesgericht eine fälschlich des Brudermordes angeklagte Frau entlasten muss. Bei Guth wird der stolze Held, der laut Libretto auf einem Schwan ins Bild geschwommen kommt, zu einer gebrochenen, schattenhaften Figur, die letztlich unerlöst wieder abreisen muss, weil Elsa von Brabant ihren ihm gegebenen Schwur bricht und ihn nach Namen und Herkunft fragt. Elsa hingegen wird von der Regie als Borderlinerin interpretiert, die sich in Visionen ergeht und Lohengrin für einen Wiedergänger ihres toten Bruders hält. Von diesem eigenwilligen interpretatorischen Ansatz abgesehen, liefert die Inszenierung handwerklich sauberes Regietheater und erzählt die Geschichte nüchtern und unaufgeregt.
Dabei spielt sich im Stück ein packender Krimi ab: Ortrud aus dem Geschlecht des Friesenfürsten Radbods will ihren Mann auf den Königsthron hieven und ihrer Blutlinie einen Platz an der Sonne sichern. Sie ertränkt den kleinen Bruder der legitimen Thronfolgerin Elsa von Brabant und erzählt ihrem Mann, Baron Friedrich von Telramund, sie habe beobachtet, wie Elsa ihr Brüderchen um die Ecke brachte. Der wiederum glaubt seiner Frau und klagt Elsa öffentlich an. König Heinrich der Vogler stellt die Angeklagte zur Rede, die zum Beweis ihrer Unschuld an dem Verbrechen einen Gottesbeweis verlangt. Ein Streiter soll sich für sie mit dem Ankläger messen, Gott soll demjenigen, der die Wahrheit vertritt, das Schwert zum Sieg führen.
Ob Telramunds Fechtkünste tatsächlich so mutig sind, dass niemand sich traut, für Elsa zu kämpfen oder die Brabanter ein Volk von Hasenfüßen ist, lässt Wagner offen. Jedenfalls findet sich keiner, und so folgt Elsa einem Traum und ruft einen Streiter vom Himmel herbei. Der kommt alsbald im Schwanentaxi und stellt sich ihr zur Verfügung unter der Bedingung, dass sie ihn niemals nach Herkunft und Namen fragt, indem er die berühmte Arie »Nie sollst Du mich befragen « singt.
Die Wahrheit siegt. Der Ritter setzt Telramund den Stahl an die Kehle, doch er ist ein gutmütiger, und wie sich im Verlauf der Ereignisse zeigen wird allzu blauäugiger Held, der dem Besiegten das Leben schenkt.
Alles scheint klar. Gott hat als höchste Instanz Recht gesprochen. Lügner Telramund wird konsequent vom Hof verbannt. Der fremde Ritter bekommt Elsa mit Haut und Haaren als Hauptgewinn und unter den Klängen des berühmtesten Hochzeitsmarsches der Musikgeschichte heiraten sie »traulich geführt«.
Doch Ortrud, die alte Hexe, gibt keine Ruhe. Sie macht ihren Mann glauben, bei dem Kampf sei nicht alles mit rechten Dingen zugegangen. Ein derart mutiger Kämpfer wie er sei doch nur vom Teufel unterzukriegen. Das saugt der in seiner Ehre gekränkte Mann auf wie ein Schwamm. Auch Elsa lässt sich von Ortrud verunsichern und möchte nun unbedingt wissen, woher der geheimnisvolle Fremde stammt.
Nach dramatischem Hin und Her stellt Elsa die alles entscheidende Frage. Lohengrin gibt sich als Gralsritter zu erkennen, der von seinem Vater Parzifal von der Burg Montsalvat geschickt wurde, um ihr beizustehen. Da nun seine Anonymität durch die Missachtung des Frageverbots aufgehoben wurde, muss der Schwanenritter zu seinem eigenen Leidwesen wieder zurückreisen und darf nicht länger Elsas Hand halten.
Bevor er den Schwan zur Rückreise besteigt, erschlägt er schnell noch Telramund, damit ein jeder sieht, dass er keine halben Sachen macht. Anders als in Wagners Frühwerk »Der fliegende Holländer« stürzt die liebende Frau ihrem davon schwindenden Lover nicht nach in den Tod, sondern bleibt zerknirscht zurück.
Wagners überschaubare und relativ leicht übersetzbare Geschichte wird von Regisseur Claus Guth abgesehen von seiner eingangs erwähnten eigenwilligen Interpretation des Helden unambitioniert präsentiert. Das aus einem offenen Lichthof bestehende Bühnenbild von Christian Schmidt lässt Lichtdesigner Olaf Winter wenig Spielraum, viel mehr als perfekte abgestimmte Lichtstimmungen zu zeigen. So kommt die volle Konzentration der Musik zu.
Das Orchester der Scala hat sich seinen guten Ruf als Klangkörper verdient, der sich auf die Hauskomponisten Verdi und Donizetti spezialisiert. Wagners Musik verlangt indes eine sowohl in den zarten wie den mächtigen Tönen eigene Spielweise, und die ist nur durch harte Probenarbeit unter einer deutlich betonten Stabführung zu erreichen. Bei dem Mailänder »Lohengrin« dampft die Musik leider nicht aus dem Graben, es gleißt und glimmert nur selten, und schlagen Becken aufeinander, dann macht es flach Peng! statt Sternenstaub zischend aufsteigen zu lassen.
Immerhin schafft es Daniel Barenboim, die Lautstärke bei den entscheidenden Partien so weit herunterzufahren, dass Lohengrin-Interpret Jonas Kaufmann den ihm eigenen süßen Tenor voll zur Geltung bringen kann. Der Sänger ist mit seinem Legato eines der Highlights der Inszenierung, er stellt Lohengrin weniger als Helden denn als einen Streiter für die Liebe dar. Dabei spielte ihm ein glückliches Schicksal Annette Dasch als Partnerin zu, mit der sich ein perfektes Paar fand. Die Sopranistin war erst am Vorabend der Premiere für die weibliche Hauptrolle angeheuert worden, nachdem die ursprünglich für die Rolle disponierte Anja Harteros ebenso wie deren Zweitbesetzung durch Krankheit ausgefallen war. Abgesehen von der Leistung, ohne Proben auf die Bühne zu gehen, brillierte Annette Dasch, so dass sich der Rollentausch für den gesamten Abend als Vorteil darstellte.
Verdienten Applaus der Premierenbesucher erhielten auch die dramatische Mezzosopranistin Evelyn Herlitzius als Hexe Ortrud und der Dresdner René Pape in klar akzentuiertem Bass als König Heinrich. Großartige Arbeit lieferte schließlich der Chor der Scala unter Bruno Casoni.
Das begeisterte Premierenpublikum dankte den Akteuren mit einem Blumenregen, lang anhaltenden Bravo-Rufen und fünfzehnminütigem Applaus. Ungewöhnlich für die Mailänder Scala: Es gab keine Buhrufe. Ein großartiger Start mit Richard Wagner in die Saison, die sich in 2013 schwerpunktmäßig mit Verdi befasst, dessen 100. Todestag im Oktober begangen wird.
Wagner-Jahr 2013, ja, da freut sich das renovierungsbedürftige Bamberg drauf
Bayreuth, ist aber auch nur einen Katzensprung entfernt.
:DD
Ja, muß daran liegen, das ich derzeit mal wieder Karl May schmökere :))
Karl May, lieber Einhard, hat aber weder in Bayreuth noch in Bamberg gelebt. Lediglich der Karl-May-Verlag als Inhaberin der Rechte ist nach dem Krieg aus dem Stammsitz Radebeul in den goldenen Westen geflüchtet.
Ja, aber in Bamberg besuchte ich seinerzeit das Karl-May-Museum, weil die Mauer noch stand und viele Exponate noch nicht wieder nach Radebeul überführt worden waren 😉
Und schließlich teilen sich Bayreuth und Bamberg nicht nur das Bundesland, sondern auch – Dopplungen mitgezählt – 5 Buchstaben :>>
Da Capo! Bei Euch, Eure prinzliche Hohheit, klingt Lohengrin in der Nacherzählung ja richtig spannend. Aber rund vier Stunden Spieldauer halte ich dennoch für übertrieben (ich bin ja schon beim ersten Teil vom „Herrn der Ringe“ – nein, der von Tolkien – in der Halbzeitpause nach Hause gegangen). 😉
Du wirst es kaum glauben: Es gibt sogar zwei Pausen 😉
Aber im Ernst: Es ist alles eine Frage, wie spannend, aktuell und mitreißend inszeniert, gespielt und musiziert wird. Ein gut gemachter Wagner könnte mich auch locker zehn Stunden lang auf den Stuhl fesseln
😉
Dann auf nach Argentinien!
http://www.taz.de/Wagners-Ring-in-Buenos-Aires/!106823/
Aber ich meine mich erinnern zu können, dass mal hier in Deutschland der „Ring“ komplett am Stück in Originallänge aufgeführt worden ist.
Warum in die Ferne schweifen? Ich behaupte, dass Dich meine »Ring«-Produktion mit Stefan Kaminski (das ist die mit der Glsharfe), die im Januar startet, begeistern könnte
http://www.youtube.com/watch?v=B4ZXmlCGiUU&feature=share&list=UUcZ2u0Dg3G7-Y4H4xvmv9AQ
Da ich den prinzlichen Juhtjuhb-Kanal selbstverständlich abonniert habe, bin ich natürlich bestens informiert. 😉
Spaß beiseite – ich wünsche Euch viel Glück für dieses spannende Projekt.
Servus Monsieur Rupi!
Wie oft bist Du während der Vorstellung eingenickt?
(Ganz ehrlich mal..;-)
Kleine Anekdote:
WG / 5 Erwachsene / 3 Kinder (1987-95)
Hauseigentümer (und Mitbewohner) –
Er / Zahntechniker – Sie / Angehende Fachärztin
für Psychiatrie.
Sie besorgte immer Karten. (Bayerische Staatsoper / München)
Er wurde regelmäßig krank, wenn der Opernbesuch nahte.
Immer konnte er sich nicht davor drücken. Er verriet mir,
dass er vor den („Horrorabenden“) sich sehr spät schlafen
legen würde, um dann im Opernhaus besonders gut zu dösen..;-D
Ich selbst hätte es auch nicht anders gemacht.
Kann diesem elitären Dur&Moll-Gejaule nichts abgewinnen.
Okay, vielleicht würde ich solche Veranstaltungen nutzen,
wenn ich Fabrikant wäre, um Kontakte zu ölen. Wer weiß..;-)
Gruß aus der Rock’n’Roll-Stube!
Danke für die gute Darstellung der Aufführung. Bisher konnte ich Wagner nicht viel abgewinnen.
Liebe Grüße zum dritten Advent, Irmgard
Danke für Dein Feedback, liebe Irmgard.
Wagner hat was für jeden Kreativfreak 😉 Ich ermuntere, sich mit dem »Ring« zu befassen: http://www.amazon.de/dp/B00539U3UK
Gut gemachter Wagner ist in vielerlei Hinsicht besser als Rock´n´Roll, das kann ich Dir als jemand, der beides liebt, versichern!