Unter dem Pseudonym Werner Schatten veröffentlicht ein vorgeblicher Ex-Cheflektor eines deutschen Großverlages und jetziger Literaturagent eine bittere Satire auf den Buchbetrieb. »Bekenntnisse eines Literaturagenten« heißt seine schriftliche Beichte, die sich zugleich als »Anleitung zur Karriere als Bestseller-Autor« verstanden wissen will.
Schatten skizziert sein buntes Leben an der Uni und im Beruf. Von Pharmazie über Wirtschaftschinesisch und Agrartechnologie rutschte er schließlich halbherzig zur Germanistik. Nach Studienabschluss absolvierte er diverse Praktika, kochte Kaffee und bediente den Kopierer. Sein Vater verschaffte ihm schließlich einen Job in einem großen ostdeutschen Verlag, wo er aus der Buchhaltung ins Lektorat aufstieg. Die Tätigkeit als Lektor musste er machen, weil er »für andere Berufe leider keinerlei Begabung oder Neigung zeigte«.
Da es ihm einerlei war, ob er Versicherungen, Kühlschränke oder Bücher verkaufen sollte, und nur der sichtbare Erfolg auf dem Lohnzettel zählte, machte er schnell Karriere. Mit sicherem Gespür freundete er sich mit Nachrichtensprechern, TV-Moderatoren, Gangster-Rappern und Großkriminellen samt ihrer Sprösslinge an und vermittelte lukrative Buchverträge.
Nach einem Jahr wurde er bereits Cheflektor, der alles andere gern tat, als sich mit Texten zu beschäftigen, zumal dies verlangte, »die komplizierte deutsche Rechtschreibung und Grammatik zu beherrschen«. Wichtigste Aufgabe im Business sei »die Pflege der Kontakte zu all jenen, von denen man entweder abhängig ist, oder aus denen man künftig noch Kapital schlagen kann«. Diese Kontakte kamen dem Autor nach dem Zusammenbruch seines Verlages und der Verselbstständigung als Literaturagent zugute.
Wie Literaturagenten Manuskripte bewerten
In einer Beschreibung seiner aktuellen Tätigkeit, die auf Ehrenwort »repräsentativ ist für alle Vertreter meines Berufs«, schildert er den Umgang mit den zehn bis zwanzig täglich unaufgefordert eintrudelnden Manuskripten: Praktikanten katalogisieren das Material und durchforsten es stichprobenartig nach Eignung. »Manuskripte, die komplett durch das Raster fallen, also zu intelligent geschrieben sind oder zu wenig intelligent, die zu gut formuliert sind oder zu schlecht, bei denen die Figuren zu komplex dargestellt werden oder zu einfach, die zu politisch sind oder zu unpolitisch«, erhalten eine Standardabsage.
Bei den restlichen Werken prüft der Agent »die Zusammenfassungen gründlich, allen voran den Namen und die Biographie des Autoren, das Thema und die mit diesen drei Kritierien unlösbar verbundene Vermarktungsfähigkeit«. Ein weitaus gewichtigeres Argument als jede Lesepbrobe stelle die Person des Verfassers dar.
Helene Hegemann und der Niedergang der Literatur
Mittels dieser Methode durfte Schatten »viele begnadete deutsche Literatur-Talente auf ihrem Weg an die Spitzen der deutschen Belletristik-Charts begleiten«. Darunter waren »Großkriminelle, begabte Serienvergewaltiger, ehemalige Porno-Darstellerinnen, Politiker, verzogene Töchter von Berliner Theater-Intendanten mit Profilneurose« und viele andere.
Letztere haben es ihm übrigens besonders angetan. So betreute er eine »Künstlerin der Gattung Extraklasse, eine große literarische Begabung, die man wohlweislich bereits mit 5 Jahren von der Schule genommen hat … damit sie … an einem jeden lieben langen Tag im Café sitzen … die Nächte in heruntergekommenen Diskotheken verleben … und auf schmutzigen Damentoiletten romantische Erfahrungen sammeln durfte«. Diese junge Lady wurde von einem »belesenen Kritiker« sogar als »neuer Mozart am deutschen Kulturhimmel bezeichnet«.
Fake oder Augenzeugenbericht?
Dank dieser zarten Hinweise fällt es leicht, in Schattens erfolgreich vermitteltem »Talent« Helene Hegemann und ihr aus Blogbeiträgen zusammengestümpertes Opus »Axolotl Roadkill« auszumachen, das 2010 im Ullstein-Verlag erschien und trotz des Entsetzens der Fachwelt zum Preis der Leipziger Buchmesse nominiert wurde. Warum »Werner Schatten« nicht aus seinem eigenen Schatten hervortritt und unter Klarnamen publiziert, bleibt hingegen ein Geheimnis.
Spätestens an dieser Stelle erhebt sich die Frage, ob der Verfasser der »Satire« tatsächlich derjenige ist, der zu behaupten er vorgibt. Denkbar wäre auch, dass es sich um einen erfolglosen Autor handelt, dessen Werk abgelehnt wurde und der nun einen Rachefeldzug unternimmt. Seine Argumentation ist mir allerdings wiederholt bei Verlagen begegnet und zwar vor allem in deren Geschäftsführungen. Da regiert eine junge Managergeneration, die Betriebswirtschaft studiert hat und über Drehmomente und Umschlaggeschwindigkeit redet, wenn es um Bücher geht. Literatur im klassischen Sinne kommt nicht mehr vor.
Verkaufszahlen entscheiden über Erfolg
Ob Faker oder Augenzeuge, der Verfasser des Pamphlets weiß jedenfalls, worauf es deutschen Verlagen bei einem Manuskript ankommt: Das sind die Verkaufszahlen. Und die sind wiederum abhängig von der Biographie des Verfassers und seiner entsprechenden Vermarktungsfähigkeit in den Medien.
Mit beißendem Spott schreibt der Autor in seiner Betrachtung, er sei »sehr froh, dass wir uns in Deutschland seit einigen Jahrzehnten erfolgreich dem allgemeinen, seit Jahrtausenden währenden internationalen Trend entziehen, demnach Bücher humorvoll und interessant geschrieben sein und eine Geschichte enthalten müssen …«.
Es sei vielmehr so, dass sich manche deutsche Buchverlage nur noch über Wasser hielten, weil sie für teures Geld ausländische Rechte einkauften. Dies wiederum gründe »in der Sturheit der deutschen Leserschaft, die sich immer noch für niveaulose, primitive Publikationen mit Handlung, Humor und Spannung begeistert, anstatt endlich dem Geschmack unserer intellektuellen, anspruchsvollen deutschen Lektoren zu folgen und sich der Selbstbestätigungsliteratur unserer Prominenten zuzuwenden«.
Self-Publisher unterlaufen Zensur der Lektorate
In diesem geistigen Klima sei es wahrlich kein Wunder, »dass die deutschen Verlage vermehrt rote Zahlen schreiben, und die Leser ihr vermeintliches Heil in den von den hilflosen, unbeachteten deutschen Autoren selbst veröffentlichten E-Books suchen, womit sie die geistige Zensur durch die deutschen Lektorate jedoch dreist unterlaufen«.
Der erfolgsorientierten Buchindustrie, so der Verfasser, gehe es schon lange nicht mehr darum, »einen relevanten Beitrag zur kulturellen Weiterentwicklung des Landes zu leisten, der Bildung breiter Massen der Gesellschaft zu dienen oder kontroverse Standpunkte einzunehmen«.
Diese »biederen, konservativen, primitiven Kritierien für ein gelungenes Buch« seinen nicht mehr von Bedeutung. Verlage seien Wirtschaftsunternehmen, die den gängigen Regeln einer globalisierten Weltwirtschaft gehorchen. Literaturagenten seien in diesem Sinne »outgesourcte Lektoren, intellektuelle Leiharbeiter, deren finanzielles Überleben einzig vom Markterfolg der von ihnen vertriebenen Publikatonen abhängt«.
Literaturmarkt in der Hand schreibender TV-Köche
Autor Schatten ist kein Meister des geschliffenen Wortes. Sein kostenlos erhältlicher Text liest sich als Versuch, eine bitterböse Satire auf den Literaturbetrieb zu verfassen. Geliefert wurde ein rabenschwarzer Text mit höchst eigenwilliger Interpunktion und fehlerhafter Grammatik, der enorm viel Frustration, Verbitterung und Hass atmet.
Ob er mit der Veröffentlichung seine Kollegen zu Begeisterungsstürmen hinreißt, darf bezweifelt werden. Kritikern des Literaturmarktes bestätigt er indes, dass sich der ausschließlich den Gesetzen der Geldmaschinerie unterworfene deutschsprachige Literaturbetrieb inzwischen fest in den Händen schreibender Fernsehköche und TV-Moderatoren befindet. Ob die Entwicklung der durch das E-Book geförderten Self-Publisher-Szene daran etwas ändert, bleibt abzuwarten. Buchaffinen Menschen hingegen dürften die Haare zu Berge stehen.
Tja, wer weiss, vielleicht kommt der Schattenmann ja wirklich aus dem deutschsprachigen Literaturbetrieb. Warum der Schreiber dieses Pamplehts dann jedoch sein Werk kostenlos zur Verfügung stellt, steht jedoch in den Sternen.
Und das ich noch vor ein paar Tagen, durch die, in den Universal Studios in Florida, wirklich liebevoll nachgebaute Fantasiewelten der Harry Potter Autorin Rowling spazieren durfte, eine detailgetreue Umsetzung eines zauberhaft geschriebenen Manuskriptes, das auch nicht gleich bei allen Verlagslektoren sofortige Begeisterungsstürme auslöste, ist eine nette Bestätigung guter Literatur: Qualität setzt sich auch ohne garstige, erfolgsorientierte Buchindustrielektoren durch, die unbekannte Autoren und dessen Werke ablehnen, nur weil sie nicht ihrer selbstherrlichen Norm entsprechen!