Leipziger Buchmesse 2025: TikTok, Tüll und Tausende Teilnehmer
Von Prinz Rupi
Die Leipziger Buchmesse 2025, das zugehörige Lesefestival Leipzig liest und die Manga-Comic-Con zogen in diesem Jahr rund 296.000 Besucherinnen und Besucher an – ein Rekord. 13.000 mehr als 2024, so viele wie nie zuvor. In einer Zeit, in der dem Buchhandel regelmäßig das Sterbeglöcklein geläutet wird, ist das ein erstaunliches Signal. Doch was steckt hinter diesem plötzlichen Besucherboom?
Ein Samstagmorgen im März. Die Autobahnauffahrt Leipzig-Messe gleicht einem Parkplatz. In der Luft liegt ein Hauch von Haarspray, Kunstleder und Kirschblütenduft. Aus überfüllten Bussen und Straßenbahnen steigen Feen, Dämonen, Superhelden und Schulmädchen mit katzenartigen Ohren. Es raschelt, klimpert, blinkt. Man trägt Flügel, Schwerter, Reifröcke – und Smartphones.
Wer sich durch den zähen Strom junger Menschen Richtung Eingang kämpft, wird Zeuge eines Phänomens: Die Leipziger Buchmesse ist längst mehr als eine Leistungsschau der Verlage – sie ist ein Popkultur-Spektakel, ein Cosplay-Karneval, ein Instagram-Highlight. Und mitten im Gedränge stellt sich die Frage: Was hat all das eigentlich noch mit Büchern zu tun?
Logistischer Ausnahmezustand: Stau, Schlange, Stillstand
Schon auf der Autobahn stauten sich die Fahrzeuge kilometerlang Richtung Messegelände. Wer es geschafft hatte, einen der raren Parkplätze zu ergattern, durfte sich auf weitere Wartezeiten gefasst machen: Zwei Stunden am Einlass, nochmals zwei an der Toilette. Trotz vorab kontingentiertem Kartenverkauf war die Infrastruktur dem Ansturm nicht gewachsen. Auch in den Hallen herrschte Gedränge – selbst Durchgänge wurden kurzerhand zu Einbahnstraßen umfunktioniert.
Was also hat die Leipziger Buchmesse im Jahr 2025 zur Pilgerstätte gemacht? Die Antwort liegt, wenig überraschend, in den sozialen Netzwerken: TikTok, Instagram & Co. machten aus der traditionsreichen Messe ein angesagtes Event. Ähnlich wie das Wave-Gotik-Treffen zu Pfingsten Leipzig regelmäßig in eine schwarze Bühne verwandelt, wurde auch die Buchmesse zu einem Treffpunkt der Szene – diesmal jedoch bunt, schrill und unglaublich jung.
Zwischen Pikachu und Pettanko: Eine Messe wird zur Bühne
Das Bild bestimmten Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene – viele in aufwendigen Kostümen für die Manga-Comic-Con. Pikachus und Pokémons aller Art, aber auch fein differenzierte Typen wie Tsundere, Yandere oder Dandere gaben sich die Ehre. Selbst sogenannte Dojikko – bewusst tolpatschige Figuren – oder Meganekko, die intellektuelle Brillenträgerin, wurden stilecht in Szene gesetzt.
Cosplay war das dominierende Thema: von Anime-Figuren wie Lady Gyokuyou bis zu Videospielheldinnen wie Rani aus Elden Ring, vom Cartoon-Charakter White Diamond bis hin zu frei erfundenen Zuckerfeen aus Dresden.
Cosplay statt Kanon? Und was ist mit den Büchern?
Die Messe wurde damit für viele zu einem einzigen großen Cosplay-Treffen. „Ich komme wegen der netten Leute und der coolen Atmosphäre“, so die häufigste Antwort auf die Frage nach dem Warum. Und wer als Kobold, Fee, Rockstar oder Klimakleber kommt, will gesehen werden – am besten auf der Bühne eines Wettbewerbs oder bei einer Performance-Meisterschaft.
Aber hat das alles noch etwas mit Büchern zu tun? Durchaus – allerdings mit anderen Büchern als denen, die einst den literarischen Kanon prägten. Die junge Szene liest. Und zwar viel. Nur eben nicht mehr Thomas Mann oder Christa Wolf, sondern New Adult.
Was junge Leserinnen wirklich lesen
Diese Literaturgattung boomt – und spiegelt in zahlreichen Subgenres die Lebenswelt junger Menschen wider:
- New Adult Romance: Liebe im Uni-Alltag
- Dark Romance: düstere Themen wie Gewalt und Besessenheit
- Sports Romance: Liebe zwischen Eishockey und Ballett
- Romantic Suspense: Liebesgeschichten mit Krimi-Touch
- Die Reichen & Mächtigen: Milliardäre, Celebrities & Co.
- Historische Romanzen: Liebe in längst vergangener Zeit
- Romantasy: Magie, Vampire und übernatürliche Gaben
- Romantic Comedy: Liebe mit einer Prise Humor
- Diversity: Inklusion, queere Themen, neue Perspektiven
Für die jüngere Zielgruppe (14–17 Jahre) gibt es das Pendant Young Adult – ebenfalls in vielen Varianten, thematisch oft geprägt von Identitätssuche, erster Liebe, Mental Health oder Mobbing.
Unterhaltungsliteratur als Stabilisator des Buchmarkts
Jenseits der Jugend-Genres floriert vor allem allgemeine Unterhaltungsliteratur – vor allem für ein weibliches Publikum. Ob Liebesroman, Schicksalsdrama, Familiengeschichte oder historischer Roman: Die Geschichten bieten Nähe, Emotion und Eskapismus.
Verlage setzen auf Themen wie zwischenmenschliche Beziehungen, Selbstfindung und Persönlichkeitsentwicklung, Generationenkonflikte und Familiendramen, Schicksalsschläge und starke Frauenfiguren.
Auch hier gilt: Je emotionaler, desto besser verkäuflich.
Auffällig ist dabei: Die Bücher selbst werden zunehmend zum Designobjekt. Farbschnitt statt Buchrücken – was früher als kitschig galt, ist heute ein Hingucker. Das Bücherregal wird zur Bühne, das Buch zum Dekostück.
Leipziger Buchmesse 2025: Der Markt im Wandel
Kritiker mögen diese Werke als „Groschenromane im neuen Gewand“ abtun. Doch die Verkaufszahlen sprechen eine andere Sprache – und sorgen dafür, dass die Umsatzeinbrüche der klassischen Literaturverlage zumindest teilweise kompensiert werden. 2024 wurden in Deutschland zwar 1,7 Prozent weniger Bücher verkauft, der Umsatz stieg jedoch um 0,8 Prozent. Der Grund: Bücher sind schlicht teurer geworden.
Ein Fest der Fantasie – oder der Anfang vom Ende der Hochkultur?
Wohin sich der Buchmarkt entwickelt, ist völlig ungewiss und wird zum Rätselraten. Sicher ist: Die Leipziger Buchmesse erlebt eine Metamorphose. Sie wandelt sich von der Messe der Verleger über die Messe der Autorinnen und Autoren hin zu einer farbenfrohen Show der Selbstdarstellung. Ob das dem guten alten Buch guttut wird sich zeigen. Vorerst aber lebt Leipzig – und das Lesen – in all seinen Facetten weiter.
© Prinz Rupi 2025
Ein wichtiger Beitrag. Der Autor bringt mir eine Welt näher, die mir bisher unbekannt war. Kuh Wadis Buch? Alles geht, auch Latein. ELHA
um auf Suaheli zu antworten: Quod erat demonstrandum 😉