Das »Berliner Ensemble« (BE) am Schiffbauerdamm gilt mit Fug und Recht als eine der besten Bühnen Deutschlands. Seit Helene Weigels Zeiten setzt die Brecht-Bühne Akzente, wenn es um schauspielerische Qualität und stilbildende Inszenierungen geht. Das gilt in Besonderem, wenn das Haus sich in ausgesuchten Fällen dem Musiktheater zuwendet, das für das BE eben nicht nur aus Brechts »Dreigroschenoper« besteht. So feierte in der jüngeren Vergangenheit Robert Wilsons Inszenierung von Georg Büchners »Leonce und Lena« überwältigende Erfolge als witzig-bildgewaltige Satire mit herausragenden Darstellern zur Musik von Herbert Grönemeyer. Grund genug, die Premiere von »La Périchole«, einer Operette von Jacques Offenbach mit Spannung zu erwarten.
Offenbachs Operette in vier Bildern wurde erstmals 1868 mit großem Erfolg aufgeführt. In originellen dramatischen Situationen präsentiert sie prägnant und witzig gezeichnete Figuren und ironisiert Zustände am Hofe des Vizekönigs von Peru. Dieser mag junge Frauen und entbrennt sogleich, als er die verarme Straßensängerin La Périchole entdeckt. Er lockt sie mit Gold und guten Worten in seinen Palast, doch seine Schranzen verlangen, der Hofetikette zu folgen: diese gestattet nur verheirateten Frauen den Zugang zum Palast. Kurzerhand entscheidet der geile Galan, die Dame pro forma zu verehelichen.
Als Gatte wird ausgerechnet der Mann ausgewählt, den die Straßensängerin seit langem liebt. Die beiden werden besoffen gemacht und von gleichfalls volltrunkenen Notaren getraut. Als der Bräutigam ernüchtert erkennt, wen er geehelicht hat und sich konsequent weigert, seine Braut dem Vizekönig zuzuführen, wird er in den Kerker der »widerspenstigen Gatten« geworfen. Périchole verhilft ihm jedoch zur Flucht, dabei wird der Vizekönig selbst gefangen. Gerührt von der Liebe der beiden Sänger gibt es sie zum guten Ende frei.
Die im Stück enthaltene Kritik an der Obrigkeit und dem Vorgehen des Vizekönigs, der das Publikum an Napoleon III. erinnerte, erregte im ausklingenden Second Empire den Unmut der Behörden. Obwohl Offenbach bewusst seine Handlung ins exotische Peru verlegt hatte, wurde das Stück mehrfach vom Spielplan genommen und 1871 nach der Niederlage Frankreichs gegen Preußen, komplett verboten.
Der Stoff scheint also wie geschaffen für das Berliner Ensemble, und es liegt außerdem noch eine treffliche deutsche Übersetzung der Operette vor. Der österreichische Schriftsteller und Herausgeber der »Fackel«, Karl Kraus, hatte das Libretto voller Witz, Lebendigkeit und stilistischer Eigenheit in die deutsche Sprache übertragen. Er verhinderte, dass Offenbachs opera-bouffé zu einem historischen Militärschwank missbraucht werden konnte und gab ihm Schärfe. Durch selbst komponierte Zusatzstrophen betonte Kraus Offenbachs Autoritätssatire und seine bezaubernde musikalische Phantasie. 1931 führte die Staatsoper Unter den Linden seine Bearbeitung von »La Périchole« auf.
Statt jedoch den Text von Karl Kraus zu nutzen, verwendete das BE eine Übersetzung von Heinrich Voigt, die vor Plattheiten strotzt. Immerhin lösten Sprüche wie »Mein Gott, sind die Männer blöde; Und auch unbeschreiblich dumm« flache Lacher älterer Herren im Fischgrätanzug aus, und dem Premierenpublikum schien die Vorstellung sogar insgesamt gefallen zu haben. Doch über Geschmack lässt sich trefflich streiten, und um es kurz zu machen: das berühmte Theater am Schiffbauerdamm lieferte mit der »Périchole« eine Inszenierung ab, die höchstens einem Provinztheater Ehre machen würde. Dabei behauptet Intendant Claus Peymann doch in seinem neuesten Buch »Peymann von A – Z« fest und steif: »Wo mein Theater ist, egal an welchem Punkt der Welt, kann keine Provinz sein«. Ob der Chef die eigene Produktion vielleicht noch nicht gesehen hat?
Regisseur Thomas Schulte-Michels schmolz den prächtigen Stoff zu einem Operettchen auf Sparflamme, das vielleicht die Brandenburger Landbevölkerung als neue BE-Zielgruppe gewinnen könnte. Er verzichtete gänzlich darauf, aktuelle Bezüge in den Stoff einzuarbeiten und gab sich alle Mühe, die hintergründig-satirische Gesellschaftskritik, die Offenbach auf dem Präsentierteller anbietet, auch nur wahrnehmen zu wollen.
Wurde schon darauf verzichtet, eine aktuelle Gesellschaftssatire auszuarbeiten, ließ auch die musikalische Leistung des Ensembles stark zu wünschen übrig. Dagmar Manzel in der Titelrolle der Straßensängerin brillierte zwar mit schauspielerischem Talent. Ihre Maske machte allerdings nicht deutlich, warum sich der Vizekönig auch nur nach ihr umdrehen sollte, und in der entscheidenden Briefarie nahm man ihr die emotionale Betroffenheit einfach nicht ab.
Die Musiker des Salonorchesters unter Uwe Hilprecht schließlich ließen sich geckenhaft mit weißen Chiffontüchern und hoch toupierten Perücken ausstatten. Trotz der Spritzigkeit der Offenbachschen Musik vermochten sie es nicht, das Stück aus dem künstlichen Koma, in das ihn die Inszenierung versetzt hatte, zu erwecken.
Das Fazit sei Karl Kraus überlassen: »Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge einen Schatten«. Vielleicht gab es deshalb nur wenige Buhrufe beim Schlussapplaus?
Oh, eine vernichtende Kritik! Wie schade um das Stück, es hat nämlich wirklich Ésprit (um mal das französische Wort für diese deutsche Aufführung zu bemühen).
Ich habe La Périchole nie live gesehen, ist ja auch seltener auf den Spielplänen. Aber ich habe die Aufnahme mit der Berganza, die ganz hervorragend ist. Stimmlich macht sie das noch ganz bezaubernd, aber gut daß man sie nicht sieht denn als junges Ding wäre sie da schon nicht mehr durchgegangen…
Es tut mir selbst leid, aber das BE besuche ich nun schon seit 30 Jahren, und ich habe mich selten so geärgert!
La Périchole ist so ähnlich wie die Großherzogin von Gerolstein, die du vielleicht kennst (wird gern als antimilitaristisches Stück inszeniert). Alle Operetten von Offenbach kennt kaum jemand, es sind tatsächlich 101!
101 Operetten??? Soviel zu meinem Wissen um Musik…
Aber wer weiß, vielleicht erleben diese Werke ja auch mal eine Renaissance? Ich habe neulich zufällig entdeckt daß es mittlerweile mehrere Einspielungen von Salieris Falstaff gibt! Sogar eine DVD!!!Hat die Bartoli mit ihrem Salieri Album womöglich eine Lawine losgetreten?
Übrigens gar nicht schlecht, dieser Falstaff. Natürlich kein Vergleich zu Verdi, aber ganz respektabel.
Ich habe heute vorab »La Bohème« als Opernfilm mit Netrebko/Villazon gesehen. Kommt bald in die Kinos, ich schreibe noch etwas dazu. Den solltest du dir ansehen!
Ein Ausrutscher sei dem BE erlaubt. Wir haben vor Jahren mal dort „Die Maßnahme“ von Brecht gesehen – und die war einfach genial.
Die Produktion kenne ich, das ist aber schon ein paar Jährchen her.
Das stimmt. Muss noch vor Peymann gewesen sein. So gehen die Jahre dahin.
Ich vermute, wir meinen die Inszenierung von Klaus Emmerich von 1998/99
Das denke ich auch.
kommen sie nach Biel!
http://www.theater-biel.ch
la perichole ist dort bis Ende Mai auf dem Spielplan!
Danke für den Hinweis.