Zum Thema Kirche, Chaos, Katastrophen interviewte mich Waltraud Gebert im Bayerischen Rundfunk. In dem am 10. September 2017 ausgestrahlten Beitrag schildere ich, wie wir als Kinder im westfälischen Münsterland zu guten Katholiken dressiert wurden, wobei der sexuelle Missbrauch für einige meiner Mitschüler zum Alltag gehörte.
Abgeschreckt durch den Mummenschanz der geistlichen Würdenträger und ihre offensichtliche Scheinheiligkeit trat ich aus der Religionsgemeinschaft aus und ging eigene Wege.
Das Interview stellt auch die Frage nach der nicht vollzogenen Trennung von Kirche und Staat. Ich halte eine vollständige Trennung für unbedingt erforderlich und fordere in diesem Zusammenhang, sämtliche Staatskirchenverträge genau zu überprüfen.
Ruprecht Frieling: Als im Münsterland Geborener bin ich fast zwangsmäßig katholisch erzogen worden, katholisch getauft worden und habe mich mit den Segnungen der katholischen Kirche, die im Münsterland besonders ausgeprägt sind, befassen dürfen. Ich habe gelernt, schon als junger Mensch die Straßenseite zu wechseln, wenn mir ein Evangelischer, ein Protestant also, entgegenkam, damit ich nicht in Berührung mit dem Teufel geriet. Ich weiß, dass ich freitags kein Fleisch essen darf, sondern Fisch. Und ich weiß selbstverständlich auch, dass Lamm nicht schmeckt, weil der heilige Bonifatius dieses als die Inkarnation des Leibes Christi genannt hat oder erklärt hat.
Weshalb sind Sie ausgetreten, bzw. was brachte das Fass zum Überlaufen?
Was uns als Kinder und Jugendliche sehr früh störte, war diese Scheinheiligkeit der Kirche: Die Pastoren, die mit ihren Haushälterinnen flirteten und zusammenlebten. Die Priester, die also mit Glanzbildern uns in ihre Häusern lockten, und hier kommt das Thema Missbrauch zum Ausdruck. Nicht nur in Regensburg gibt‘s die Domspatzen, sondern auch im Münsterland wurde Missbrauch gepflegt. Einige Mitschüler von mir hat es erwischt. Die wurden vorgeladen, durften sich entkleiden und wurden mit heiligen Ölen gesalbt und massiert und durften dann posieren vor diesen Herren in den schwarzen Talaren. Und das hat mir alles irgendwann den Rest gegeben, an diese Kirche konnte ich nicht glauben und konnte auch nicht glauben, dass das eine moralische Institution ist, mit der ich mich in irgendeiner Weise anfreunden kann. Insofern habe ich das erste Recht, was mir als junger Mensch zustand, das Recht auf Religionsmündigkeit, mit 14 Jahren ergriffen, bin stramm ins Amtsgericht damals gelaufen und hab gesagt: »Ich möchte aus dieser Kirche austreten!« und die haben dann auch alle gesagt: »Ja, super, das machst du, kein Thema. Wir klären das für dich.« – Und als ich dann Jahre später nach Berlin kam und das erste Mal arbeitete, da stelle ich fest, dass auf meiner Lohnsteuerkarte immer noch »rk« für römisch-katholisch stand, und diese lieben, wunderbaren Amtsleute, die mich da austreten ließen, überhaupt nichts gemacht und mich genau genommen verarscht haben, da musste ich dann noch einmal austreten.
Da wundert es mich nicht mehr, dass Sie im Zusammenhang mit der katholischen Kirche auf Krach und Katastrophen kommen. Gab es da noch weitere Vorkommnisse?
Natürlich war das Elternhaus an erster Stelle angesprochen, weil es darum ging, dass die Priester natürlich nach Hause kamen und die Eltern agitierten: »Dein Junge ist nicht fromm genug« oder »Er will nicht Ministrant werden, das ist ja eine Schande! Du guter alter Vater warst doch auch ein treuer Diener Gottes!«
Und diese armen Eltern haben natürlich dann auf mich als Jungen eingewirkt oder versucht einzuwirken, damit ich in irgendeiner Weise diesen Weg des Üblichen gehe und dass ich also ein guter Katholik werde und dass ich al das tue, was die Kirche von mir will. Aber da habe ich mich also schon sehr, sehr früh verweigert und gesagt: »Dieser Kirche, die uns – meine Mitschüler genaugenommen – vergewaltigt, der werde ich nicht dienen! Und insofern werde ich beispielsweise kein Messdiener.«
Sie sind ja nun schon lange nicht mehr Mitglied in der katholischen Kirche. Was stört Sie dennoch noch daran?
Das, was ich am störendswertesten empfinde und auch damals fand, ist das gestörte Verhältnis zum eigenen Körper, die katholische Sexualmoral. Wir mussten noch Sprüche lernen wie: »Mit den Haaren der Frau fängt der Teufel die Seele des Mannes!« Also, um klarzumachen, dass man auf keinen Fall mit irgendwelchen Frauen anbändeln soll. Und wir haben auch gelernt, oder als Junge habe ich gelernt, dass also Onanie eine ganz verwerfliche Sache ist, die nicht nur das Hirn weichmacht, sondern auch das Rückgrat aufweicht, sodass man also krank und alt und gebrechlich wird, bevor es überhaupt richtig losgeht. Das fanden wir alles absolut krass.
Wir haben das natürlich erst mal geglaubt. Wir dachten: »Oh Gott, haben wir da jetzt ein paar Flecken im Pyjama?« und so weiter. »Was mach ich nur? Da unten juckt es und irgendwas möchte ich ja machen. Aber Gott guckt ja zu, der sieht ja aus allen Winkeln, selbst in mein stilles, abendliches Schlafzimmer, unter meiner Decke sitzt er wahrscheinlich und späht, und das darf er ja nicht sehen, dass ich da Hand an mich lege.« Und entsprechend kam dann natürlich – wir mussten zweimal die Woche beichten – die berüchtigte Frage aus dem Dunkel des Beichthäusleins: »Hast du Hand an dich gelegt, Bube?« Naja, dann hat man natürlich irgendwann mal gesagt: »Ja, ich habe Hand an mich gelegt, zweimal, dreimal«, oder wie auch immer.
»Ego te absolvo, ich spreche dich frei von deinen Sünden. Und jetzt bete soundsoviel „Gegrüßet seist du“ und zwanzig „Vaterunser“ und ab mit dir!«
Aber diese Frage, Verhältnis zum Körper, das schlimme Verhältnis zum anderen Geschlecht, die Nicht-Bereitschaft, überhaupt Sexualaufklärung zu betreiben, das ist für mich immer – bis heute noch – der größte Mangel, den ich an der katholischen Kirche und an der katholischen Sexualmoral und -theologie erkenne.
Wie stehen Sie zur Problematik der nichtvollzogenen Trennung von Kirche und Staat?
In manchem ist ja die oft zitierte, als rückschrittlich, als mittelalterlich genannte Türkei schon weiter als die Bundesrepublik Deutschland, denn dort ist zumindest formal die Trennung von Kirche und Staat vollzogen. Ich bin schon der Auffassung, das ist eine Frage, die man an die Politik richten muss, dass man selbstverständlich alle Konkordate und Staatskirchenverträge einmal genauestens überprüfen sollte. Das hat ja – auch unter dem Gesichtspunkt der wahnsinnigen Kosten, die wir beispielsweise für Bundeswehrpfarrer und was nicht alles übernehmen müssen – Bedeutung in haushaltstechnischer Hinsicht. Ich bin der Meinung, dass das Neutralitätsprinzip oder auch Neutralitätsgebot, was wir hier in der Bundesrepublik offiziell haben, dass das in sehr starkem Maße missachtet wird und ganz anders hinterfragt werden müsste. Hier gibt es also viele, viele Dinge … Wenn der Papst vor dem Bundestag spricht, das ist einfach ein Unding, das ist ja nun kein Staatenvertreter, sondern das ist ganz, ganz klar eine religiöse Figur, eine Leitfigur, die dort auftritt, und andere Leitfiguren dürfen nicht auftreten. Also beispielsweise habe ich noch nicht gehört, dass der Vorsitzende des Bundes für Geistesfreiheit, Erwin Schmid, im Bundestag aufgetreten ist und seine Theorien verkündet hat.
Vielen Menschen sind Sie als Autor von »Angriff der Killerkekse« bekannt, einer Kurzgeschichtensammlung über den alltäglichen Wahnsinn, wie er sich aus menschlichen Untugenden ergibt, etwa Völlerei, Rachsucht und Faulheit, um nur ein paar zu nennen. Heißt das, dass die Todsünden der Antike heute auch ein Thema für Atheisten sind?
Das sind Todsünden, die uns die Kirche anerzogen hat. Wir sprechen ja in der Fachsprache von »peccatum mortiferum«, diese Todsünden, die unter anderem zum Beispiel in der Apostasie, also im Glaubensabfall bestehen. Jeder, der nicht mehr an Gott glaubt, der also zum Beispiel die Freiheit des Geistes pflegt, der kommt ja in die Hölle, um dort furchtbare Qualen zu erleiden. Und natürlich haben wir davor als Kinder Angst gehabt und uns das furchtbar vorgestellt. In der Hölle wird man ja schrecklich gequält und wer möchte schon in die Hölle? Man möchte ins Paradies. Insofern sind wir mit diesen Todsünden verfolgt worden. Und auf der anderen Seite stehen ja nun als Gegenstück die Kardinaltugenden, an die sich der gläubige Mensch hält, wie sie der gute Katholik pflegt. Ich halte es da vielleicht mehr mit Mahatma Gandhi, der ja zu den Fragen der Todsünden viel moderner gesagt hat, z.B.: »Reichtum ohne Arbeit«, das ist eine Todsünde. »Geschäfte ohne Moral«, das ist eine heutige Todsünde. »Wissenschaft ohne Gewissen«, das ist eine Todsünde. Aber diese klassischen Todsünden, die uns also letztlich die Kirche aufoktroyiert hat, das sind Dinge, die müssten eigentlich in den Abfalleimer der Philosophie kommen. Die sind in der heutigen Zeit überhaupt nicht mehr gültig, zumal sie von jedem guten Christen und insbesondere im Vatikan hört man immer wieder davon, ja sehr gerne gepflogen werden. Ich habe einen guten Freund, einen Schauspieler, der sehr bekannt ist, Mario Adorf, der hat eine Wohnung direkt gegenüber dem Eingang zur Papststadt. Und er erzählt immer wieder sehr gerne, wenn wir mal ein, zwei Bierchen getrunken haben, wie denn dort abends ganze Wagenladungen von Huren und Lustknaben vorfahren, um den Prälaten und den Herren in den schwarzen Talaren … Ich weiß ja nicht, was die da machen, also vielleicht servieren die, ich habe keine Ahnung – aber irgendwie … morgens kommen sie dann wieder raus.
Phantasiebegabten Autoren wird ja oft ein prophetischer Blick in die Zukunft zugesprochen. Welche Zukunft sehen Sie für die christlichen und auch nichtchristlichen Kirchen in Deutschland und welche würden Sie sich wünschen?
Auch Autoren haben keine Kristallkugel, in der sie die Zukunft erkennen können. Aber eines ist klar, Geschichte verläuft nicht geradlinig, sondern verläuft wellenförmig. Gerade in den USA, in den Flyover-Staaten, also im sogenannten Bibelgürtel, sehen wir eine Erstarkung ultra-konservativer Positionen, die ja mit dem Katholizismus und dem Christentum verbunden sind …
Aber wenn man das Ganze langfristig betrachtet, dann löst sich doch immer stärker das bisherige Miteinander von Kirche und Staat auf. Die Menschen werden freier. Gerade durch die Wiedervereinigung in Deutschland haben wir ein Volk von 17 Millionen Menschen dazugewonnen, die religionsfrei aufgewachsen sind und die sich mit diesem ganzen Zirkus in der Schule nicht beschäftigen müssen und mussten.
Hier gibt es, glaube ich, langfristig und mittelfristig auch durch Migration aus ganz anderen Kulturräumen Vermischungen, neue Aspekte, neue Auffassungen von Religiosität, von dem Miteinander der Religionen und einer größeren Durchmischung. Und das bedeutet, dass diese Amtskirchen mehr und mehr und mehr zurückgedrängt werden. Wobei man natürlich sagen muss, gerade die katholische Kirche als einer der größten Großgrundbesitzer von Deutschland hat natürlich eine wirtschaftlich enorm mächtige Position. Hier, denke ich, sollte man auch mal sehr kritisch nachdenken, ob die Mildtätigkeit der Kirche, die Mildtätigkeit Roms nicht auch darin besteht, vielleicht einen Teil dieses Grundbesitzes aufzugeben und dem Gemeinwohl zur Verfügung zu stellen.
Welche Aufgaben der Politik sehen Sie vorrangig für die nächste Zeit?
Also die derzeit herrschende Politik – wir haben ja bald Wahlen und jeder muss sich da selbst an die Nase fassen, ob er nun das wählt, was er immer schon gewählt hat oder ob er vielleicht mal ein paar neue Akzente setzt. Die derzeitige Politik macht nicht den Eindruck, als ob dort irgendeine Bewegung stattfindet hinsichtlich einer positiven Entwicklung im Verhältnis von Kirche und Staat. Ich sehe das also insofern sehr kritisch und glaube, dass wir eine neue Politik brauchen und damit letztlich auch neue Politiker, neue politische Kräfte, die sich freimachen von der Orientierung auf die Kirche, die sich freimachen von der Einflüsterei Roms und der Macht der Bischöfe und Kardinäle in Deutschland. Die sich öffnen, stärker öffnen als bisher dem freien Geist und der freien liberalen Entwicklung eines Gemeinwesens. Das ist das, was ich meine, brauchen wir dringend. Und jeder, der dazu beitragen kann, mit seinem Kreuzchen eine Wahlentscheidung zu treffen, jetzt im Spätherbst, der liegt, glaube ich, auf der richtigen Seite, obwohl man da nicht glauben darf, dass sich danach irgendwas ändert. Aber ein bisschen, mittelfristig, kann man zumindestens Akzente setzen. Das, denke ich, sollte jeder versuchen.
Da wir ja bald Wahl haben, fällt mir gerade noch ein Witz ein, ein kleiner Witz zur Situation: Frau Merkel kommt in den Himmel und Petrus fragt sie: »Wo willst du hin, liebe Ex-Bundeskanzlerin? Möchtest du in den Himmel oder möchtest du in die Hölle? Du kannst beides testen.« »Ja,« sagt sie, »dann teste ich erstmal die Hölle, bevor ich mich entscheide.« Und sie erlebt die Hölle als wunderbares Paradies. Und ihre ganzen Freunde, Söder und wie diese Buben heißen, sind da kräftig am Champagner-Saufen und liegen in Liegestühlen, und Knaben fächeln ihnen Luft zu. Alles ganz wunderbar. Frau Merkel geht zurück zu Petrus und sagt: »Ja, super! Ich wähle, ich wähle natürlich die Hölle!« – »Okay“, sagt Petrus, »Bitteschön, tritt ein ins Reich!« Und Frau Merkel kommt in diese Hölle und sieht Flammen und Feuer, und heißes Öl wird über sie gegossen. Sie schreit: »Hey, Petrus! Das stimmt hier doch nicht! Ich habe es doch ganz anders erlebt!« – »Tja«, sagt Petrus, »Frau Bundeskanzlerin, vor der Wahl ist eben anders als nach der Wahl!«
Herzlichen Dank, Herr Frieling, dass Sie sich für dieses Interview zur Verfügung gestellt haben. Wir wünschen Ihnen alles Gute!
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