Unter dem Stichwort „askaconductor“ tauschten sich auf Twitter 24 Stunden lang rund um den Globus Musiker und Fans mit weltberühmten Dirigenten aus.
Wie arbeitet eigentlich ein Dirigent? Was macht er konkret mit einem Orchester? Wie findet er Zugang zu den jeweiligen Musikstücken? Hat er Lampenfieber beim Entern des Pults? Muss er jedes einzelne Instrument kennen und beherrschen?
Wer auf derartige Fragen kompetente Antworten sucht, der twitterte gestern, was das Zeug hält. Denn der 8. Dezember 2010 stand unter einem bemerkenswerten Stern. Unter dem Hashtag (Schlagwort) #askaconductor (frage einen Dirigenten) standen mehr als 60 Spitzendirigenten aus aller Welt jedem, der fragte, Rede und Antwort.
Die Maestros, die dem Publikum sonst stets den Rücken zudrehen, um sich auf ihre Partitur und das jeweilige Orchester zu konzentrieren, ließen sich 24 Stunden lang auf eine direkte Ansprache ein. Rund 4.000 höchst unterschiedliche 140-Zeichen-Tweets wurden in den virtuellen Raum gejagt und spontan, ehrlich und durchaus humorvoll beantwortet.
Bereits um Mitternacht begann das ungewöhnlich spannende Frage- und Antwortspiel. Aus Australien stellte sich Vladimir Ashkenazy, Chefdirigent der Sydney Symphoniker, den Fragen. Er erzählte per Tweet, dass er schon sehr viel früher zum Taktstock gegriffen hätte, wäre er nicht zuerst Pianist geworden. Zu seiner Arbeitsweise befragt, erklärte der vielfache Grammy-Gewinner, er gehe die jeweilige Partitur mehrmals im Kopf durch und lerne sie auswendig statt sie am Klavier zu spielen.
Der inzwischen 80jährige Altmeister des Taktstocks, Maestro Lorin Maazel, ging in den USA online, um aktiv Fragen per Twitter zu beantworten. Maazel stand bereits im zarten Alter von neun Jahren als Little Maazel am Pult und dirigierte öffentlich ein Orchester. Auf meine Frage, wie das überhaupt möglich gewesen sei, schrieb er zurück: Ich kannte den Stoff und das Orchester respektierte mich. Ich gab weniger als 50 Konzerte in sieben Jahren und erlitt deshalb keinen psychischen Schaden. Maestro Maazel nutzt übrigens ein iPhone, um zu twittern und verwendet Tweetdeck auf seinem Laptop.
Als ein Vertreter des Nachwuchses stürzte sich der 1987 in London geborene Brite Fergus Macleod in den Twitter-Ring. Der Dirigent zwitscherte aus Zürich und verriet, ohne Namen zu nennen, dass er besonders stark von der Beobachtung schlechter Dirigenten profitiere. Probenarbeit sei Goldstaub. Auf meine Frage, ob ein Dirigent sich gegenüber dem jeweiligen Orchester bisweilen als Löwenbändiger fühle, antwortete er schmunzelnd: Ich finde, es geht eher darum, das Orchester zum Brüllen zu bringen.
Sarah Hicks ist eine der bislang noch seltenen weiblichen Dirigenten. Sie führt den Stab am Minnesota Orchester. Von ihr wollte ich wissen, ob Frauen es schwer haben, sich gegenüber einem häufig von Männern dominierten Orchester durchzusetzen. Wenn das Ensemble einmal spürt, dass ich weiß, was ich tue, ist alles gut egal wie ich aussehe, twitterte die attraktive Dirigentin zurück.
Aus allen Teilen der Welt trafen sich einen Tag lang Kapellmeister zum gemeinsamen Zwitschern unter dem Schlagwort #askaconductor. Lediglich der europäische Kontinent war deutlich unterrepräsentiert. Aus Deutschland beteiligte sich lediglich Jonathan Darlington, Generalmusikdirektor der Duisburger Philharmonie und Chef der Oper im kanadischen Vancouver. Von ihm wollte ich wissen, warum Westeuropa bei diesem hochrangigen Twitter-Event so deutlich unterrepräsentiert sei. Darlington schrieb zurück: Ich kann mir nur vorstellen, dass Institutionen wie Einzelpersönlichkeiten noch nicht verstanden haben, dass eine internationale Gemeinschaft existiert. Für den Maestro ist Twitter ein selbstverständliches Werkzeug, das er nutzt, soweit es seine Zeit erlaubt.
Ein Event wie #askaconductor zeigt, wie leistungsstark Twitter ist, und wie spannend es sein kann, sich kurz und knapp über ein bestimmtes Thema mittels des Dienstes auszutauschen. Die Online-Premiere dieser ungewöhnlichen Kommunikationsform war jedenfalls ein grandioser Erfolg und hat allen Beteiligten viel Spaß beschert. Die Veranstaltung setzt Maßstäbe und hat Schrittmacherfunktion.
Da ist es ja fasssst schade , das die Hamburger Elb-Philharmonie noch nicht fertig ist….
🙂
oh mann, was ich wieder so alles verpasse, wenn ich einen freien tag habe…
Oh, das ist ja interessant! Wieder mal lustiger Zufall, gerade heute morgen war eine Sendung im Radio über die Dirigentenausbildung; ein Thema über das man sich kaum Gedanken macht, wie wird man Dirigent? Wie lernt man? Und wie überbrückt man die Zeit bis man 50 ist und damit „reif“ mal auf ein großes Orchester öffentlich losgelassen zu werden?
Eine klare Ausbildungsordnung gibt es nicht, und auch die Altersgrenze ist nach unten offen: siehe Dudamel.
Vielleicht twittern die bereits?
Da hat du wirklich was verpasst. Der tollste Twitter-Event sei Bestehen des Dienstes. Twitter at its best!
Ich bin nicht einmal sicher , ob es schon eine feste Besatzung für das Haus gibt….
🙂
heute bei twitter auf dw_german live aus oslo anlässlich der nobelpreisvergabe – zitat frau woltersdorf: die liste der nichtangereisten ist länger als die der anwesenden
mal sehen, in wie weit die meldungen via honkong ins reich der mitte gelangen, langsam wird es zeit…
Das ist ein Super-Rupi-Bericht. Es macht Spaß, so kompetent und unterhaltend über neue Entwicklungen in den Bereichen Kunst/Kultur/Internet informiert zu werden. Herzlichen Dank.
Enorm, wie Social-Media und Web 2.0 sich ausbreiten und unser Leben bereichern. Künstler können davon nur profitieren, aber Politiker mit ihren Steuermännern müssen sich warm anziehen.
Ich empfinde derartige Veranstaltungen als enorme Bereicherung. Langsam wird auch im Bereich der klassischen Musik unübersehbar, dass es ein nachwachsendes, junges Publikum, spannende neue Musik und vollkommen neue Formen der Kulturvermittlung gibt.
Schau mal auf deren Homepage: dort findest du das gesamte Team mit Funktionen. http://www.elbphilharmonie.de/ueber-uns.de
Ausserdem gibt es eine Facebook-Seite: http://www.facebook.com/elbphilharmonie.hamburg
die haben bereits eigene seiten ????
wow !
Da einmal Hausmeister zu sein wäre sicher interessant…
🙂
Ich hab es nur am Rande mitgekriegt, fand aber auch, dass es eine richtig gute Idee war. Nachahmenswert auch für andere kulturelle Bereiche !
Auf jeden Fall. Eine derartige Veranstaltung braucht allerdings immer ein paar prominente Zugpferde. Sonst klappt es (noch?) nicht.
Ich finde die Idee gut. Und vor allem lieber im Twitter anstatt im … Facebook. Das passt auch besser zu den Gebildeten.