Horst Evers erzählt Geschichten. Sie sind kurz, vielleicht drei Minuten lang, und sie entfalten ihren Charme besonders, wenn der Verfasser sie selbst vorträgt. Dann betritt ein blasser, nahezu kahlköpfiger, tendenziell übergewichtiger Mann im roten Hemd die Bühne. Sein bloßes Erscheinen löst bereits Gelächter bei Stammhörern aus. Er spricht in bedächtiger Art und wirkt dabei so, als schaue er dem eigenen Gedanken bei dessen träger Entwicklung zu. Ihn kennzeichnet Lethargie und Schluffigkeit, und wüsste man es nicht besser, man würde ihn eventuell sogar für einen Trottel halten. Ruprecht Frieling traf den erfolgreichen Autor, Kabarettisten und Träger des Deutschen Kleinkunstpreises 2008, der sich selbst gern ironisch den lustigsten Mann der Welt nennen lässt, im Berliner Kabarett-Theater »Die Wühlmäuse«.
Ruprecht Frieling: Horst, Du hast vor zwanzig Jahren angefangen zu schreiben. Wovon hast Du damals geträumt? Eigene CDs, eigenes T-Shirt, ausverkaufte Säle?
Horst Evers (lacht): Buch. Buch. Tatsächlich immer Buch. Ich wollte eigentlich Schriftsteller werden
Ruprecht: Du wolltest Schriftsteller werden?
Horst: Ja, am liebsten Schriftsteller. Damals war mein Traum, auf einer einsamen Insel zu leben, und die einzigen Menschen, die ich sehe, sind mein Verleger und mein Finanzberater, die mich jeweils einmal pro Jahr auf der Insel besuchen und mir irgendwelche Sachen mitteilen. Damals konnte ich noch nicht ahnen, dass es eines Tages so etwas wie Internet und damit keine einsamen Inseln mehr gibt. Aber anfangs hatte ich mir das so vorgestellt.
Ruprecht: Der klassische Traum vom eigenen Buch und dem selbst vergessenen Schriftsteller …
Horst: Genau.
Ruprecht: … nun geht das ja normalerweise so los, dass der Autor mit einem Manuskript tingelt und es an tausendundeinen Verlag schickt. Bist Du genau so vorgegangen?
Horst: Nein. Ich habe mit Freunden, die ich während des Germanistikstudiums kennen gelernt hatte, sehr schnell bemerkt, dass sich kein Mensch für unser Zeug interessiert …
Ruprecht: Selten realistisch!
Horst: … was uns sehr überraschte, da es ja extrem gut war, sich aber trotzdem keiner dafür interessierte. Deshalb haben wir sofort Lesungen gemacht. Das ging sehr schnell los. Wir haben anfangs vielleicht ein, zwei Monate lang versucht, die Texte irgendwo anders zum Druck unterzubringen. Dann haben wir unsere eigene Zeitschrift, den »Salbader« gegründet, den damals aber auch keiner haben wollte. So sahen wir keine andere Möglichkeit, unsere Geschichten an die Leute zu bringen, als Lesungen zu veranstalten. Daraus ist alles weitere entstanden. Die Lesungen waren von vornherein sehr erfolgreich.
Ruprecht: Bei Lesungen hofft der Autor, der vom eigenen Buch träumt, dass vielleicht ein Verleger oder Lektor im Publikum lauscht und ihn »entdeckt«.
Horst: Es hat mich, ohne Witz, sehr überrascht, dass diese Lesungen über einen langen Zeitraum hin, das waren mehr als zehn Jahre, äußerst erfolgreich und gut besucht waren, aber nie ein Verlag kam. Mittlerweile war ich natürlich viel zu stolz, selbst irgendwo hinzugehen, bis sich nach rund zwölf Jahren der Eichborn-Verlag meldete.
Ruprecht: Wie kam es konkret dazu, dass sich Eichborn bei Dir meldete?
Horst: In irgendeinem Zeitungsinterview kam die Frage, warum es denn die Texte nicht als Buch gibt, und ich habe geantwortet, dass ich mich darum nicht weiter bemühe, ich sei zu stolz
Ruprecht: Und schon klingelte das Telefon!
Horst: Da klingelte tatsächlich prompt das Telefon, und dann waren es gleich drei oder vier Verlage. Eichborn war am schnellsten und er war auch am überzeugendsten.
Ruprecht: Nun hat Horst Evers inzwischen diverse Bücher bei Eichborn, er hat eigene CDs, eine eigene Radiosendung, einen Podcast und dazu noch sämtliche Kleinkunstpreise abgeräumt. Er macht, was er will, füllt bald das Olympiastadion. Wovon träumst Du als nächstes?
Horst: Ganz banal: möglichst lange weiter machen zu können.
Ruprecht: Der Stress nimmt mit dem Erfolg weiter zu. Du musst inzwischen mehr als eine Geschichte pro Woche produzieren. Fließbandarbeit kann auch zu Lasten der Qualität gehen.
Horst: Eben. Das bedeutet zeitversetzt, alles neu zu kanalisieren. Ich werde im nächsten Jahr erstmals seit zwanzig Jahren ein halbes Jahr Pause machen, auch um einfach mal einen Break zu haben.
Ruprecht: Eine Lese- oder auch eine Schreibpause?
Horst: Auch eine Schreibpause. Davon erhoffe ich mir, wieder mal einen Blick von außen auf meine Arbeit werfen zu können und mit Abstand an das Ganze heranzugehen. Derzeit spiele ich über fünf, sechs Wochen ununterbrochen, und da ist es schwer, Abstand zu gewinnen. Dabei mache ich diese Auftritte unheimlich gern, ich habe großen Spaß daran und habe Angst, dass ich mir diesen Spaß selbst versaue, weil ich zu viel mache. Diese vorauseilende Angst bringt mich dann eben dazu, jetzt Vorsorge zu treffen, um die Freude zu erhalten. Große Karriereziele habe ich eigentlich nicht mehr. Das einzige Ziel ist, dass ich möglich lange große Freude am Schreiben und Lesen behalte.
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