Mit einem furiosen Paukenschlag eröffneten die Bregenzer Festspiele 2019 ihr Programm: Regisseur Philipp Stölzl präsentierte Verdis „Rigoletto“ als farbenprächtige, bühnentechnisch sensationelle und musikalisch furiose Inszenierung mit nie zuvor erreichtem Sound. Aber auch der wesentlich stillere „Don Quichotte“ war sehenswert.
Bregenzer Festspiele 2019: Opernvergnügen am Bodensee
Von Ruprecht Frieling
Ein gigantischer, 30 Tonnen schwerer und mittels ausgefeilter Hydraulik gesteuerter Schädel eines Clowns schaut wie ein mächtiger Riese aus dem Bodensee auf die 7.200 Zuschauer auf der bereits für die gesamte Saison ausverkauften Seebühne Bregenz. Dieser monströse Kopf ist die eigentliche Bühne der Oper „Rigoletto“, mit der die Bregenzer Festspiele 2019 eröffnet wurden.
Die rechte Hand des Riesenclowns ragt aus dem Wasser. Die Finger sind beweglich und bieten den Akteuren eine Nebenbühne. In der linken Hand hält der Riese einen zitronengelben Luftballon. Dieser Ballon ist mit 1.200 l Helium gefüllt und wird später in der lauen Abendluft aufsteigen. Das ist spektakulär, emotional beeindruckend und toppt alles, was in Bregenz bislang geboten wurde.
Akrobaten bevölkern die Bühne. Es wird Feuer gespuckt, Rad geschlagen, jongliert und musiziert. Stuntmen seilen sich vom Kopf ab, alles sprudelt quirlig und farbenfroh. Das Auge des Zuschauers findet keine Ruhe, so viel gibt es zu sehen und zu staunen.
Immer wieder wird einer der Akteure ins Wasser geworfen, das freut das Publikum, es quiekt vor Vergnügen. Messerwerfer treten auf, und es gibt singende Herzöge. Einer von ihnen ist der Herzog von Mantua (Stephen Costello), ein Womanizer, der ein Auge auf Rigolettos schönes Töchterchen Gilda (Mélissa Petit) geworfen hat,
Auch Rigoletto (Vladimir Stoyanov) singt. Ihn erkennt man an seinem Bajazzo-Outfit und an einem kleinen gelben Luftballon, den er wie eine Lampe mit sich herumträgt. Er möchte seine Tochter vor dem Zugriff des Lüstlings retten, wird aber zum Schluß Opfer eines bösen Fluches, und so hieß die Oper auch ursprünglich „Der Fluch“. Das musste Verdi aber auf Anweisung der Zensur ändern, wobei er mit dieser Oper besonders häufig aneckte, weil er es wagte, hohe Herren als Lüstlinge zu zeigen.
Die Augen fliegen hin und her, hier öffnet sich das Maul des Riesen und ein paar Männer treten vor, um zu singen. Es gibt auch Arien, die berühmte „La Donna è mobile“ über die Schlechtigkeit der Frauen kennt das Publikum und singt leise mit. Überhaupt tritt die Handlung der Oper in den Hintergrund, es wird vor allem auf die Optik und ein unaufhörliches Treiben auf der Bühne abgestellt,
Wer sich nicht vorher belesen hat und die eigentlich tragische Geschichte zumindest in groben Zügen kennt, hat geringe Chance, sie aus dem Bühnengeschehen abzulesen, Darum scheint es aber auch den meisten Zuschauern nicht zu gehen. Sie lassen sich von einer zirzensischen Bühnenschau gefangen nehmen, die von Musik unterlegt ist. Mit einer klassischen Operndarbietung hat all das nur noch wenig gemeinsam.
Dabei geben die Wiener Symphoniker unter Enrique Mazzola alles, um wahrgenommen zu werden. Ihr punktgenaues mit der Inszenierung abgestimmtes Spiel kommt in diesem Jahr besonders gut zur Geltung. Bregenz hat sich eine neue Beschallungsanlage geleistet, und die liefert ein Volumen, das sowohl in den Höhen wie auch den Tiefen einzigartig ist. Rockkonzerte könnten sich davon eine fette Scheibe abschneiden.
Mit der Wahl von Philipp Stölzl als Regisseur haben die Bregenzer Festspiele eine wegweisende Entscheidung getroffen, sowohl in technischer wie künstlerischer Hinsicht. Es wird schwer fallen, dies in den Folgejahren erneut zu überbieten.
Zur Bregenzer Premiere von „Don Quichotte“
Die Oper „Don Quichotte“ von Jules Massenet erreicht trotz der nuancenreichen Musik und des legendären Stoffs nur selten die öffentlichen Bühnen. Es wird erheblich Personal benötigt, und – das größte Problem – es ist ein Bass gefordert, der die Rolle füllt, die der Komponist seinerzeit dem russischen Bass Fjodor Schaljapin auf den Leib geschrieben hatte.
Mit dem ungarischen Bassbariton Gábor Bretz sei die Rolle ausgezeichnet besetzt, meinte vor der Premiere Co-Dirgent Francis Benichow, mit dem ich gemeinsam zum Festspielhaus ging. Und er hatte Recht: Bretz machte dem Ritter von der traurigen Gestalt alle Ehre und wurde dabei von einem brillanten David Stout als gutmütiger Gefährte Sancho Pansa bestens unterstützt.
Die Handlung der Oper in fünf Akten ist rasch erzählt, wobei sie nur in der Grundidee mit dem gleichnamigen Roman vom Miguel Cervantes übereinstimmt: Um die zwanzigjährige Dulcinée (Anna Goryachova) wetteifern diverse Herren, mit denen sich das attraktive Fräulein gern amüsiert, jedoch langweilt. Nachdem nun der ergraute Ritter Don Quichotte wie ein Flashback aus versunkenen Zeiten auftritt, bemerkt sie das Fehlen ritterlicher Eigenschaften bei ihren Freiern und fordert sie ein.
Als der tattrige Don einwilligt, als Beweis seiner Verehrung ihre gestohlene Perlenkette aus den Händen einer kriminellen Bande zurückzuholen, macht sie ihm schöne Augen. Ohne Zögern und ohne auf das Jammern Sancho Pansas zu hören, begibt sich Quichotte in die Höhle des Löwen. Die Bande schlägt den Eindringling zusammen und will ihn grillen. Die Gangster werden dann aber von ihrem Anführer zurückgehalten, der den Mut und den Glauben der Ritters bewundert, aus Liebe sein Leben zu riskieren. Er schenkt Quichotte das geraubte Collier und erbittet dafür dessen Segen.
Quichotte überreicht Dulcinée das Schmuckstück, die sich wundert, dass er überhaupt noch lebt und ihn vor Freude küsst. Doch als der alte Zausel ihr daraufhin seine Liebe gesteht und um ihre Hand anhält, endet die Szene in allgemeinem Hohngelächter.
Im letzten Akt stirbt der selbstlose Ritter und mit ihm verwehen auch die von ihm gepredigten Tugenden der Freundschaft, Ritterlichkeit.
Inszenatorisch versucht Mariame Clément die fünf Akte in die Jetztzeit zu transponieren und verwendet dabei das Prinzip der Guckkastenbühne. Sie beginnt mit einem mittelalterlichen Stadtbild, um dann in ein mit Graphiti verschandeltes Straßenmilieu zu schwenken, das die Heimat der Gang darstellen soll. Zurückgegeben wird der geraubte Halsschmuck dann in einem Großraumbüro, in dem Dulcinée als Büroschlampe ihren Arbeitskollegen den Kopf verdreht.
Gerade letzteres überzeugt leider nur ansatzweise, Weder Kostüm noch die Figur selbst verkörpern auch nur annähernd das, was sich in heutzutage in Büros an Augenweiden präsentiert. Immer wieder offenbart sich die Verzweiflung mancher Regisseure, unbedingt jedes Thema zeitgemäß ausstatten zu wollen und dabei die Musik und das Anliegen des Komponisten aus den Augen zu verlieren.
Auch ein dem 1. Akt vorgeschobener „Gillette“-Rasierklingen-Werbefilm und der sich daraufhin als empörter Zuschauer laut schimpfend zeigende Felix Defèr wirken unschlüssig. Nun gut, der edle Ritter trägt eine Seifenschüssel auf dem Kopf und rasiert sich auch nass, wie im Windmühlen-Akt zu sehen ist, aber muss das wirklich sein, nur um die MeToo-Debatte herbeizuzerren? Und muss der unglückliche Ritter bei seinem verzweifelten Versuch, den Gangstern den geraubten Schmuck abzujagen, unbedingt ein hautenges Spiderman-Kostüm tragen?
Schlüssig hingegen fand ich den unvermeidlichen Kampf des Don gegen den imaginären Windmühlen-Riesen, der als Ventilator dargestellt wurden, den Quichotte mit der Klobürste attackiert.
Musikalisch war der Abend ein voller Erfolg. Die Wiener Symphoniker unter Daniel Cohen zauberten sowohl in den stillen wie in den kraftvollen Momenten einen Klang, der gut mit den Choreinsätzen korrespondierte und die Sänger zur Geltung kommen ließ.
„Don Quichotte“ ist eine Oper, die ohne spektakuläre Arien auskommt. Ausgerollt wird ein weicher, mitunter melancholisch anmutender Klangteppich, der dem großen Thema der Liebe ebenso einen Platz bietet wie dem Land der Träume und Phantasien, durch die der edle Ritter zieht. Jules Massenet schuf eine ebenso poetische Oper wie ein Kunstwerk voller Weltschmerz und dystopischer Visionen. Und gerade unter diesem Aspekt, dem Untergang zeitgenössischer Kultur und den Idealen des bürgerlichen Humanismus, hat „Don Quichotte“ volle Aktualität und Daseinsberechtigung.
Die Bregenzer Festspiele sind sicherlich, so entnehme ich aus Deinen Schilderungen, ein tolles Erlebnis. Schon alleine die Bühnengestaltung ist einmalig, wie ich aus den Bildern entnehmen konnte.
Leider fehlt mir die Möglichkeit diese Festspiele zu besuchen. Daher begnüge ich mich mit Der Schilderung Deiner Erlebnisse. Danke dafür.
Gern geschehen ❣️
Lieber Ruprecht Frieling,
mit Interesse habe ich Ihren Beitrag >Bregenzer Festspiele 2019: Opernvergnügen am Bodensee< gelesen. Schon die überdimensionalen Bilder in ihrer beeindruckenden Strahlkraft lassen Ungewöhnliches erahnen. Mit einer klassischen Operndarbietung hat all das nur noch wenig gemeinsam, stellen Sie auch sehr richtig fest. Der See ist immer schon ein Ereignis für sich; mit dieser außergewöhnlichen, großartigen zirzensischen Darbietung, hat Regisseur Philipp Stölzl eine Unterhaltung geschaffen, die jede bisher erfolgte Form weit in den Schatten stellt, und selbst Menschen, die der Oper nicht sonderlich zugetan sind, zu frenetischem Beifall animierten.
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