Unter dem Titel „Harmonie der Differenz“ findet bis zum 23. August 2015 eine Ausstellung des Künstlerpaares Jan Bouman und Beatrix Fey in Münster statt. Im historischen Krameramtshaus, Alter Steinweg 6/7, werden Arbeiten der seit einem halben Jahrhundert als Künstlerpaar verbundenen höchst unterschiedlichen Maler ausgestellt.
Zur Einführung sprach Dr. Berend Wellmann zum Stichwort „Ebenbürtigkeit von Zeichnung und Farbe“ über die Arbeiten der beiden im niederländischen Enschede lebenden Künstler. Seine Ausführungen werden im Folgenden mit freundlicher Genehmigung zitiert:
Bilder von Jan Bouman
Die meisten Betrachter können sich eine Vorstellung davon machen, dass die Bilder von Jan Bouman in einem langen, konzentrierten Arbeitsprozess entstanden sind: Sie präsentieren sich zwar meistens in einer großen Leichtigkeit – in übersteigerten und schwebenden Bewegungen der dargestellten Figuren, denen manchmal jede Schwerkraft abhanden gekommen zu sein scheint, und in einer bunt-lebendigen und prägnanten Farbigkeit –, verraten aber doch gleichzeitig den hohen Einsatz an konzeptioneller und malerischer Anstrengung.
Technisch gesehen sind es in der Regel drei komplexe Schritte, in denen die Bilder entstanden sind: Nach einer gründlichen und sorgfältig erarbeiteten Festlegung auf ein Thema, das sich oft an Fotos und auch an allgemeiner Werbung orientiert, beginnen in einem ersten Schritt die skizzenhaften und zeichnerischen Vorarbeiten – zunächst in Kohle, dann in Blei und schließlich mit einem leichten Pinselstrich, bis der gewünschte „intellektuelle Anteil“ der Arbeit, d. h. die genaue und dem kritischen Ansatz des Themas entsprechende Wiedergabe durch die Zeichnung stimmt.
In einem zweiten Schritt geht es um das „Gleichgewicht“ – er selbst würde sagen: um die „Ebenbürtigkeit“ von Zeichnung und Farbe und damit um den „Stimmungsanteil“ des Bildes: um durch die Wahl der Farben und Grundfarben und durch den Einsatz von Licht und Schatten und von Hell und Dunkel eine dem Thema angemessene Gesamtwirkung zu erzielen. Und schließlich erhält das Bild in einer Art letztem „Schliff“ eine auffallende und sehr gekonnte Oberflächenglättung, die mit ihrer „kristallinen“ Klarheit die thematische Aussage des Bildes noch unterstreichen soll.
Zusammengesehen bedeutet das, dass die so entstandenen Bilder eine über die verblüffende inhaltlich-ästhetische Wirkung hinausreichende Bedeutung haben und im Grunde so etwas wie eine „Stellungnahme“ oder wie ein „Beitrag“ des Malers in einem vor allem mit sich selbst, mit seinem Innern und mit der Umwelt, geführten Diskurs sind – und das macht ihr Gewicht und ihre Besonderheit aus.
Die alte Frage: „Was bedeutet dein Werk …?“ (Schiller) ist ganz offensichtlich von ihm erwünscht und mit malerischen Mitteln provoziert – oder doch jedenfalls nicht ausgeschlossen worden.
Es geht dabei am Ende allerdings nicht um „Lösungsangebote“ oder um so etwas wie endgültige „Statements“ eines Malers, sondern um Fragen; es geht nicht um vorgehaltene „Wahrheiten“, sondern neben dem bildnerischen Reiz um einen offen gestalteten Dialog zu gesellschaftspolitischen Themen.
Anders als bei Beatrix Fey ist die „Natur“ in diesen Bildern nebensächlich geworden und nur in Versatzstücken zu sehen – das war nicht immer so. Es gibt frühere, große Bilder, die in ihren Themen nicht nur inhaltlich politisch orientiert sind, sondern in denen „Räume“ und Landschaften vorkommen und Architekturen und manchmal sogar überraschende Zitate alter (z. B. Fra Angelico) Meister zu sehen sind. Inzwischen haben aber Menschen „als Menschen“, Frauen und Männer, die nur mit sich selbst beschäftigt sind oder in einem deutlichen Spannungsverhältnis zueinander stehen, Menschen also in ihren Widersprüchlichkeiten und mit ihren hellen und dunklen Seiten, thematisch die Hauptrolle übernommen. Und das zeigen die Bilder der gegenwärtigen Ausstellung: nicht platt oder mit pathetischen Anspruch gemalt, sondern hochdifferenziert und mit verstecktem Witz und absurden Bildtiteln ausgestattet – und daher mit einer deutlich spürbaren Tendenz, die Darstellung immer weiter ins Surreale hinein zu verschieben. René Magritte (als Surrealist) und de Chirico (als „Metaphysiker“) gehören in dieser Hinsicht zu den großen Vorgängern – d.h. zu denen, die ebenso wie Jan Bouman Leichtigkeit und Tiefe oder Profanes und Erhabenes und schließlich auch „Differenz und Harmonie“ nicht als Gegensätze empfunden haben, sondern als etwas, das sich lebendig ergänzt und zueinander gehört und daher die gleiche (gleichgewichtige) malerische Behandlung verdient. Dieser künstlerische Respekt vor dem Leben – vor allen, den hohen und tiefen Seiten des Lebens: der ist es, der die Bilder so mitreißend und großartig macht, Jan, und sie „voll optisch“ erscheinen lässt.
Bilder von Beatrix Fey
Die Bilder von Beatrix Fey erzählen demgegenüber eine völlig andere Geschichte, die zu verstehen, wie sie es einmal formuliert hat, die Interpreten vor die Aufgabe stellt, das eigene Gefühl als Übersetzungshilfe in Anspruch zu nehmen. Es sind Bilder, in denen einfachste Gegenstände, Fundstücke aus der Natur, in einem fast unendlichen Formenreichtum wiedergegeben werden: Mit größter Präzision gezeichnet und vor einen wunderbar gemalten, in vielen Schichten entstandenen, farbigen Hintergrund gesetzt, sind sie zu überraschenden und die Phantasie anregenden „Figuren“ und Objekten komponiert worden und wirken zusammengenommen fast wie das Bühnenbild eines märchenhaften Balletts.
Beatrix Fey hat sich in ihrer Arbeit immer in einem sehr spezifischen Sinn von der Natur anregen lassen, d. h. sie hat sich immer nur für die „kleinen Dinge“ interessiert – nicht etwa für das Bild einer ausgebreiteten „Landschaft“, sondern für einen Grashalm, für ein Blatt oder für ein Stück Holz, und nicht für einen ganzen „Wald“, sondern für einen Ast und für ein abgerissenes Stück Rinde – und sie hat es dann unternommen, diese Dinge, echte, durch die Natur gelieferte Fundstücke also, durch ihre meisterhafte Zeichnung, durch phantasiegeleitete Komposition und Zusammenordnung und schließlich durch die Farbgebung lebendig werden zu lassen und damit zugleich in einen größeren thematischen Zusammenhang zu stellen. Denn die einzelnen Teile oder Fragmente haben für sie in einem buchstäblichen Sinn die Bedeutung eines Symbols oder einer Metapher – sie weisen durch die künstlerische Bearbeitung über sich hinaus auf etwas Anderes, Größeres oder auf etwas „Ganzes“, das sich dem Hineinfühlen des Betrachters und seiner eigenen Vorstellungskraft erschließen muss.
Für sich genommen sind die gefundenen Gegenstände, in der Regel jedenfalls, ja nicht schon ästhetisch perfekt oder wirklich interessant – auch wenn sie von ihr selbst entdeckt und aufgelesen oder inzwischen sogar von vielen ihrer Freunde aus nahvertrauten oder auch aus ganz „exotischen“ Gegenden mitgebracht worden sind; sie werden also nicht nur wiedergegeben, nicht nur so absolut vollkommen dargestellt, sondern in eine Idee hinein komponiert, in eine Erzählung, aus der jeder Betrachter sich dann seine eigene Geschichte erschaffen kann. Diese Bilder haben damit auch einen anderen Rang und eine ganz andere Bedeutung als ein traditionell gemaltes Stillleben; sie sollen „gelesen“ werden – sie sind, wie sie es einmal selbst und vor dem Hintergrund ihrer profunden Literaturkenntnis formuliert hat, so etwas wie ein „Alphabet“ oder ihr „persönlicher Mythos“. Und darin würde ich den „philosophischen“ Ansatz ihrer Arbeiten sehen: mit den Bildern (und Objekten) wie mit einer „Metapher“ etwas sichtbar zu machen, das bisher so nicht sichtbar war oder nicht verstanden wurde (vgl. Jerome Ferrari, Das Prinzip).
Theodor Adorno schreibt in „Minima Moralia“: „Das Ganze ist das Unwahre“ und berührt damit den Begriff des „Fragments“. Es gibt die Fragmente der Vergangenheit – die „kleinen Dinge“, die Fundstücke, von denen wir ausgegangen sind, Übriggebliebenes und Bizarres und die „Überreste eines zerstörten, aber ehemals Ganzen“.
Aber es gibt auch Fragmente der Zukunft – das, was noch unvollendet geblieben ist, aber in Bildern gestaltet und vollendet werden kann, und damit verbindet sich nicht „Nichts“, auch nicht nur die Lust und die Anstrengung einer so überragenden künstlerischen Arbeit wie bei Beatrix Fey, sondern damit verbindet sich Hoffnung. Und vielleicht ist das das Thema ihrer Bilder.
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