Mehr als ein halbes Jahrhundert später sind wir Dicks Fiktion ein Stück näher gerückt. Fasziniert bewundere ich bei Freunden einen Teppichsaugroboter, der nach einem festgelegten Plan in aller Stille Staubflocken sammelt, sich wieder auf seine Ladestation zurückzieht, um bald darauf seine Jagd aufs Neue zu beginnen. Ein solches vollautomatisches Helferlein würde mir gut gefallen, zumal das Staubsaugen ebenso wie manch andere Hausarbeit nicht zu meinen Lieblingspflichten zählt. Und schon diktiert mir mein Wunschdenken ein Kinderbuch über einen freundlichen Gartenroboter namens Archimedes, der den Menschen ohne Murren und Diskussionen bei der beschwerlichen Gartenarbeit zur Hand geht und dafür lediglich ein paar Tropfen Öl verlangt.
Allzu weit sind wir also von der Vision, die Philip K. Dick Mitte des letzten Jahrhunderts entwickelte, nicht mehr entfernt, und doch ist es noch in vieler Hinsicht unvorstellbar, was uns konkret in jener unmittelbaren Zukunft erwarten könnte. Da passt eine zehnteilige schwedische Sci-Fi-Serie von Lars Lundström wie die Faust aufs Auge, die zum Besten gehört, was in letzter Zeit an spannungsgeladenem Stoff aus Skandinavien über den Bildschirm geflimmert ist.
»Real Humans« (»Echte Menschen«) beschreibt eine Welt, die sich von unserer aktuellen nur in einem Punkt unterscheidet: Verfügbar sind nämlich absolut menschenähnliche Roboter für jeden Geschmack und alle Fälle. Sie gehören so selbstverständlich zu jedem besseren Haushalt wie Autos oder Kühlschränke. Diese fleißigen »Hubots« (für: Human Robots) gibt es in jeder gewünschten Optik und Programmierung, vom erfahrenen Altenpfleger über den liebevollen Begleiter einsamer Herzen bis zum nimmersatten Sexualpartner. Hubots ähneln »echten« Menschen bis aufs Haar und passen sich perfekt der jeweiligen Familienkonstellation an.
Nun gibt es natürlich auch Gegner der Roboterwelt, Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, weil Maschinen alles sehr viel genauer und zuverlässiger erledigen. Und schließlich sind da ein paar Hacker, die den Robotern bestimmte Synapsen im Hirn verbinden, so dass diese keine Lust mehr verspüren, sich von den Menschen erniedrigen zu lassen. Sie revoltieren, brechen aus, werden »freie« Roboter und haben vor allem auch keinerlei (eingebaute) Hemmschwellen mehr, Gewalt gegen ihre Erzeuger anzuwenden …
Vor diesem Szenario entwickelt sich eine spannende Kriminalhandlung, bei der absolut offen ist, wer letztlich die Oberhand bekommt, zumal auch die Polizei bereits von Hubots infiltriert zu sein scheint. Auf der anderen Seite entstehen wundervoll kauzige Alltagssituationen, wenn ältere Herrschaften gegen die Bevormundung ihrer Hubot-Altenpflegerin aufbegehren oder pubertierende Jugendliche wunderhübsche Hubot-Haushaltshilfen zum Gegenstand aufkeimender Begierden machen.
Die aus zehn Episoden bestehende erste Staffel dieser bislang nur in der ARTE-Nische gezeigten Reihe ist – anders als klassische Serien – ein in sich zusammenhängender zehnstündiger Spielfilm, der in der entsprechenden Reihenfolge genossen werden will. Geboten wird eine faszinierend vielschichte, intelligente Kost, die von starken Schauspielern lebt, die dem deutschen Publikum unbekannt sind. Besonders die unglaubliche Mimik der Hubot-Darsteller ist schlichtweg fantastisch und macht die Spielhandlung überaus realistisch.
Interessant, und ganz im Sinne des eingangs erwähnten SF-Schriftstellers Philip K. Dick sind ethische Fragen, die aufgeworfen werden: Kann künstliche Intelligenz ein eigenes Gefühlsleben entwickeln? Ist es denkbar, dass Hubots realen Menschen eines Tages nicht nur in technischer sondern auch in moralischer Hinsicht überlegen sind? Hat künstliche Intelligenz ab einer bestimmten Entwicklungsstufe das Recht, über das eigene Schicksal zu bestimmen? Macht man sich strafbar, wenn man einen Hubot vergewaltigt, oder ist das lediglich Sachbeschädigung? Und über all dem schwebt die entscheidende Frage, was den Menschen eigentlich ausmacht und ob es zukünftig vielleicht schwierig sein wird, eine klare Trennungslinie zwischen Menschen aus Fleisch und Blut und Human Robots zu ziehen.
All dies wird mit einer derartigen Leichtigkeit in den ungemein spannenden Handlungsstrang eingeflochten, dass der Betrachter erst im Nachhinein zum Atemholen kommt und das Grundsätzliche des Themas reflektiert. Ich jedenfalls habe nach dem Betrachten der zehn Episoden den Erwerb eines Teppichsaugroboters vorerst zurückgestellt und greife lieber selbst zum Staubsauger.
Glossar:
Hubots (Human Robots): Künstliche Menschen
Hublies: Leute, die Hubots benutzen
THS (Transhumansexuelle): Hublies, die mit Hubots ein Liebesverhältnis eingehen