Einen in der Altstadt von Palma de Mallorca gelegenen liebevoll restaurierten alten Adelspalast verwandelt das Teatre Sans am Wochenende in eine 60er-Jahre-Finca. Das seit rund 30 Jahren auf Humoresken spezialisierte Theaterensemble bindet das im gotischen Stil errichtete Gebäude aus dem 14./15. Jahrhundert samt Patio in ihre stimmungsvolle Inszenierung ein und beschert großes Vergnügen.
In dem nach der Adresse des Hauses benannten Stück »5, Carrer Sans« wird das Leben eines typischen mallorquinischen Hauses vor einem halben Jahrhundert karikiert. Schon auf der Straße beginnt die turbulente Montage. Da kontrolliert ein Ordnungshüter die Besucher. Von einem Balkon kräht eine Mutter nach ihrer Tochter, die jedoch brav hinter ihr steht. Alles wirkt wie eine lebendige kleine Gasse im Herzen einer spanischen Altstadt, in der jeder jeden kennt und es kaum Geheimnisse voreinander gibt.
Dann betritt der Besucher das Gebäude und lernt die verschiedenen Mieter in ihren Behausungen kennen. Die schälen sich schnell als Typisierungen bestimmter Charaktere heraus. Im Erdgeschoss bietet ein Lebensmittelhändler in seinem Ladengeschäft Dinge des täglichen Bedarfs von Apfelsinen über Mehl bis Zucker feil. Der gute Mann legt gern mal ein zusätzliches Gewicht mit auf die Waage, um die Hausfrauen beim Einkauf übers Ohr zu hauen. Die wiederum klauen ihm gern mal ein Bonbon und nutzen den Einkauf zum stundenlangen Tratsch.
In der Nachbarwohnung lebt ein Schneidermeister. Der verkauft seinen Kundinnen mehr oder weniger schräge Kreationen als letzten Schrei und wiegt sie unter Komplimenten, Handküssen und Entzückensschreien in der Vorstellung, den neuesten Pariser Trend zu tragen. Tür an Tür wohnt ein Pärchen, deren Haushaltsvorstand durch Diebereien ein Auskommen sichert. Leider ist der Räuber so dumm, dass er die Anweisungen seiner Angetrauten wortwörtlich befolgt, und beispielsweise eine (Sitz-)Bank klaut statt eine Bank auszurauben.
Im Haus vegetiert außerdem ein nichtsnutziger Maler, der auf Pump lebt und keine Miete zahlt. Der große Künstler befindet sich auf ständiger Flucht vor Gläubigern. Es gelingt ihm sogar, einem Inspektor, der ihn in amtlicher Eigenschaft aufsucht, den Wintermantel abzuschwatzen und ihm eine Postkarte mitzugeben, auf die dieser noch eine Briefmarke kleben darf.
In einer Dachkammer logiert schließlich ein leichtes Mädchen; es gibt als Gegenstück aber auch eine fromme Tante sowie eine Mutter, die ständig lautstark mit ihren Kindern schimpft.
In einer weiteren der klitzekleinen Wohnhöhlen residiert eine Pension, deren Wirtin ständig den Komfort ihrer Unterkunft preist und Vollpension mit täglichen Variationen von Kartoffelgerichten bestreitet. Diese Pension ist eine derart enges Mauseloch, dass Mieter in Schränken wohnen und vollkommen verbogen ans Tageslicht kommen, während andere mit einem zersägten Stuhl vorlieb nehmen müssen, da für mehr kein Platz ist.
Nach zwei Stunden ist die turbulente Hausbesichtigung abgeschlossen und alle treffen sich in der guten Stube der Carrer Sans 5. Hier trifft gerade eine technische Novität ein: Der erste Fernseher wird aufgestellt und fasziniert die gesamte Nachbarschaft. Doch plötzlich schlägt eine Schreckensnachricht ein, denn das Haus wurde verkauft und die Miete wird drastisch erhöht. Das bedeutet für die Gemeinschaft das Aus. – Wäre da nicht der neue Fernseher und die Verkündigung der Lottozahlen, denn Ende gut – alles gut: Die Nachbarn haben gemeinsam viele Millionen Peseten gewonnen und können sorglos weiter in dem alten Haus leben.
Erst in diesem Schlussbild wird deutlich, dass die neue Produktion des Teatre Sans keine Geschichte erzählt, sondern Charaktere porträtiert und mit ihrer Komik spielt. Darin liegt der große Spaß des Stücks, denn es wird im Einzelnen das Allgemeine gespiegelt und jeder Zuschauer kann die Absurdität des Alltags erkennen, der heute auf der »Insel der Glückseligkeit« lediglich in etwas »modernerem« Gewand erscheint als vor einem halben Jahrhundert.
Durch die Spielfreude der großartigen Komödianten, die sämtlich in mehrere Rollen schlüpfen, springt der Funke sofort ins Publikum über. Aufgrund der eindeutigen Mimik, des großen gestischen Temperaments und der deutlichen Personenführung bedarf es auch überhaupt keiner Übersetzungen der Dialoge. Denn gesprochen wird zwar Katalanisch, die Gebrauchssprache der Mallorquiner, die im 13. Jahrhundert mit den gegen die Mauren kämpfenden christlichen Kreuzrittern auf die Insel kam und bis heute erhalten blieb.
Da es sich aber um ein unkompliziertes Stück handelt, versteht auch derjenige, der kein Wort Katalanisch beherrscht, Zusammenhang und Witz. Ein Besuch ausschließlich in dieser Sprache spielenden Theaters ermöglicht damit neben der gepflegten Unterhaltung eine Begegnung mit einer lebendigen Sprache, die vollkommen unabhängig vom heutigen Spanisch gepflegt wird und auf Mallorca eine der beiden Amtssprachen ist.
1985 begann die Theatergruppe um den Direktor, Schauspieler und Autor Pedro Mestre ihre Erfolgsgeschichte mit einem Stück von Eugène Ionesco: »La Cantant Calba« (»Die Kahle Sängerin«). Seitdem pflegen die Mimen das absurde, irrwitzige und komische Theater. Possen von Karl Valentin wurden einstudiert, es gab eine Hommage an die großartigen Marx Brothers und Shakespeares sämtliche Werke wurden in neunzig Minuten zusammengefasst. Stücke von Molière, Dario Fo, Goldoni wurden ins Katalanische übersetzt und aufgeführt, es gab sogar Opern von Donizetti und Mozart im Idiom der Balearenbevölkerung.
Ihren bislang größten Erfolg erlebte das Theater mit einer spanischen Bühnenversion der skurrilen Fernsehserie »Addams Family«. Unter dem Titel »La Familia Sans« traten die Akteure erstmals am 13. März 1997 auf. Seitdem wurden mehr als 200 Aufführungen absolviert. Weit über 15.000 Besucher reagierten begeistert auf dieses schräge Kammerspiel. Die neue Produktion hat gute Chancen, dieses Erfolgsstück zu toppen.
Teatre Sans. C/. Ca`n Sanç, 5. E-07001 Palma. Reservierungen: Tel. 00 34 – 971 72 71 66. www.estudizeroteatre.com