»Piraten« kopieren auf speziellen Plattformen soeben erschienene E-Books und stellen sie frei zugänglich ins Netz. Sie vertreten die Auffassung, dass es im Netz kein geistiges Eigentum gibt. Dem widerspricht jedoch das geltende Urheberrecht ebenso wie das Verlagsrecht.
Ist das illegale Verbreiten von E-Books moralisch verwerflich? Sollten Autoren, die ja die Bücher schreiben und davon leben wollen, überhaupt mit derartigen Typen kommunizieren? Werden Diebe gerade erst durch die ungewohnte Aufmerksamkeit interessant gemacht und erschließen sich vielleicht sogar neue Kundenkreise?
Autorenvereinigung lädt Buchpiraten ein
Die im Mai 2012 gegründete Autorenvereinigung Qindie, der aktuell 80 Self-Publisher angehören, bot einem angeblich entlaufenen Pressesprecher der Räuberplattform TorBoox jedenfalls kostenfrei die Möglichkeit, Werbung für sich und seine Sache zu machen. In einem mehr oder weniger nichtssagenden Nebelbeitrag versuchte dieser Herr »Spiegelbest«, der sich selbst »Troll der Trolle« nennt, die Debatte anzustoßen. Mit einer überschäumenden Portion Arroganz, Beleidigungen und ein paar hohlen Sprüchen gelang ihm dies. Die Aufrufe der Qindie-Homepage schnellten in die Höhe. Eine knappe Woche lang klickten täglich bis zu tausend Leser die Seite der Gemeinschaft an und beachteten sie. Die Initiatoren jubelten und fühlten sich bestätigt.
Viele Autoren erfuhren nun erstmals, dass ihre Bücher auf Download-Portalen gratis angeboten werden, ohne dass sie auch nur gefragt wurden. Sie reagierten entsprechend sauer, weil sie sich bestohlen fühlten und sich nun auch noch mit den Dieben an einen Tisch setzen sollten. Einige geißelten die Betreiber des Qindie-Portals und hielten es für absurd, Werbung für Textdiebe in einem Autorenhafen zu machen. Es hagelte öffentliche Distanzierungen. Autoren wie Béla Bolten, Stefanie Maucher, Runa Winacht und Maria G. Noel traten aus dem Club aus, dem sie erst kurze Zeit angehörten.
Piraterie ist keine Erfindung des digitalen Zeitalters
Nun wurden teure Bücher schon in den seligen 68ern geklaut, als sogenannte Raubdrucker von Kneipe zu Kneipe zogen, um soeben erschienene Bestseller zu Spottpreisen abzugeben. Das Geschäft florierte, der Leser profitierte davon, die Verlage schäumten. Kein Autor musste indes darben. Da die Verkäufer und deren Hintermänner in kleinen Druckereien relativ leicht identifizierbar waren, wurde die Sache nach einigen Jahren von der Polizei beendet.
Im digitalen Diesseits läuft es ähnlich: Wer in der richtigen Kneipe sitzt, der liest halt preiswerter als diejenigen, welche die mehrheitlich dreisten E-Book-Preise der Großverlage akzeptieren. Es sind also wie vor vierzig Jahren die hohen Preise, die den illegalen Konsum fördern und begünstigen. Insofern sind in erster Linie diejenigen Verlage betroffen von der Piraterie, die schon in ihrer Preispolitik ihre Ablehnung gegenüber dem E-Book-Markt deutlich machen.
Zwar gibt es auch Bücher von Self-Publishern, die gratis von diesen Portalen geladen werden können. Wesen der Marketingstrategie fast aller Indie-Autoren aber sind günstige Buchpreise. Es lohnt sich also für den einzelnen Nutzer kaum, sich strafbar zu machen, um ein, zwei Euro zu sparen. Außerdem besteht auch auf Piratenmärkten das Prinzip von Angebot und Nachfrage, und so schrecklich stark gefragt sind die Werke der meisten Self-Publisher bislang nicht. So wundert es wenig, wenn noch nicht beraubte Nachwuchsautoren fragen, wo und wie sie sich »bewerben« müssen, um ebenfalls »piratisiert« zu werden.
Paulo Coelho und die Piraten
Vorbildlich geht seit langem Erfolgsautor Paulo Coelho mit dem Piratenunwesen um. Bereits 1999 baute er selbst eine »Pirate Coelho«-Plattform auf und steigerte mit selbst veranlassten Raubkopien der Übersetzungen eigener Werke seinen Bekanntheitsgrad erheblich. Zum Thema sagt er: »Viele sagen, dass ich mir das nur leisten kann, weil meine Bücher so hohe Auflagen erreichen. Dabei ist es genau umgekehrt: Meine Bücher erreichen so hohe Auflagen, weil ich mir Mühe gebe, meine Werke der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.«
Coelho macht sogar die Leser seines Blogs auf Gratis-Downloadmöglichkeiten aufmerksam, sobald er sie entdeckt. Er ermuntert die User, von den Angeboten Gebrauch zu machen und schlägt ihnen dazu einen Deal vor: Wenn Ihnen das Buch oder das Hörbuch gefällt, dann sollen sie es kaufen, um der Industrie zu beweisen, dass »Piraterie« keine Gefahr für ihr Geschäftsmodell bedeutet.
Klaut meine Bücher …
Auch von einigen meiner Büchern gibt es illegale Kopien im Netz, die sich jeder (illegal) gratis laden kann. Rege ich mich darüber auf? – Nööö! – Ich finde das nicht schlimm. Von mir aus können diese »Piraten« meine E-Books millionenfach an die Armen dieser Welt verteilen. Wer nicht einmal einen Euro erübrigen kann, um meine Leistung zu honorieren, der sollte auch nicht zur Kasse gebeten werden. Ich lebe von ehrlichen und überzeugten Lesern, und insofern sind mir diese Plattformen schnuppe.
… but don´t feed the trolls
Offen bleibt letztlich die Frage, ob Autoren-Plattformen gut beraten sind, den Buch»piraten« Öffentlichkeit zu bescheren. Ich bin seit Jahrzehnten mit aktiver Öffentlichkeitsarbeit vertraut und kann keinen Nutzen in der Gratiswerbung erkennen. Im Gegenteil glaube ich, dass sich die Plattform mit dieser Entscheidung stigmatisiert und potentielle Partner abschreckt. Nicht umsonst heißt es: Don´t feed the troll.
Möglicherweise stellt sich das aus der Sicht von Autoren, die lediglich aus Freude am Schreiben veröffentlichen und mit den Möglichkeiten des Self-Publishing erste Schritte in die Welt der Bücher gehen, anders dar. Sie hoffen vielleicht, sich mit dem angeblichen Ex-Piraten austauschen und davon profitieren zu können. Ob eine derartige Rechnung aufgeht? – Nach Lage der Dinge und in Anbetracht der vollkommen ergebnislos verlaufenden Debatte auf den diversen Plattformen fürchte ich, dass diese Strategie nach hinten los geht.
Ob Qindie in der Lage ist, den verursachten Schaden auch in den eigenen Reihen wieder wettzumachen, wird sich zeigen. Immerhin wurde zwischenzeitlich von den Verantwortlichen der Aktion in einer eigens gegründeten geschlossenen Facebook-Gruppe erklärt, derartiges solle nie wieder ohne vorherige Einbeziehung der anderen »Qindies« geschehen und man/frau sei sich bewusst gewesen, nie eine Mehrheit für das Posting erreicht haben zu können …